DFB-STIFTUNG EGIDIUS BRAUN | 2022
Kuratoren im Porträt
EINE FRAU FÜR EIN STÜCK EWIGKEIT
Nia Künzer hat einst mit ihrem Golden Goal Deutschland zum Weltmeister gemacht und weitere Titel gesammelt. Der Fußball hat ihr danach viele Türen geöffnet. Diese positiven Erfahrungen motivieren die heutige Kuratorin der DFB-Stiftung Egidius Braun nun, über den Sport wichtige Impulse in der Gesellschaft zu setzen.
Es war der 12. Oktober 2003, als sich Nia Künzer einen Platz im kollektiven Gedächtnis der Sportnation sicherte und auch ein Stück internationale Fußballgeschichte schrieb. Im WM-Endspiel der DFB-Auswahl gegen Schweden lief bereits die 98. Minute. Renate Lingor legte sich den Ball zum Freistoß zurecht, hob den Blick und rief für alle vernehmbar „Nia“. Es folgten die Flanke, die ihre Mitspielerin Künzer fand, und deren Kopfball zum 2:1. Deutschland war erstmals Frauen-Weltmeister. Mit dem letzten Golden Goal der FIFA-Geschichte.
Die Bilder von diesem später zum „Tor des Jahres“ gewählten Treffer hat Künzer viele Male gesehen und noch häufiger hat man sie auf diese Momente angesprochen. Doch der Punkt, an dem all das mehr nervt als freut, ist offenbar noch weit entfernt. „Es gibt definitiv schlimmere Dinge, an die man erinnert werden könnte“, sagt sie heute, fast zwei Jahrzehnte nach dem Triumph im DFB-Dress. Auch wenn sie einige andere Titel gewonnen habe, genieße das Turnier in den USA für sie einen besonderen Stellenwert. „Ich hatte mich damals nach meinem dritten Kreuzbandriss zurückgearbeitet. Vor allem aber herrschte in dieser Mannschaft ein besonderer Geist, ein Zusammenhalt der Spielerinnen und des Teams hinter dem Team, der sich letztlich ausgezahlt hat“, erklärt sie.
GEMEINSAMKEIT ALS ANHALTENDER ZAUBER
Genau das hat für sie auch immer den Zauber an ihrem Sport ausgemacht. Die Lust, gemeinsam etwas zu bewegen. „Und selbstverständlich hat es mich auch immer angetrieben, die einmal erlebten positiven Emotionen nochmals zu fühlen“, so Künzer. Dafür hat sie einiges in Kauf genommen und mehrfach Durchhaltevermögen bewiesen, also ihrem Vornamen Nia alle Ehre gemacht, der in Botswana, dem Land ihrer Geburt, „Ich will“ bedeutet. Denn im Verlauf ihrer Karriere, die die 1,68 Meter große Defensivspielerin zu drei UEFA-Cup-Titeln, sieben Deutschen Meisterschaften und sieben DFB-Pokal-Erfolgen mit dem 1. FFC Frankfurt binnen eines Jahrzehnts führte, gab es auch weniger schöne Kapitel. „Ich musste sicherlich auch einige tiefe Täler durchschreiten“, macht sie deutlich. Dazu zählt sie in erster Linie die Wochen nach ihren schweren Verletzungen. Allein viermal zog sie sich einen Kreuzbandriss zu. „Das waren manchmal einsame Zeiten“, erinnert sich Künzer an die vielen Stunden in der Reha.
Damals hat sie sich zurückgekämpft. Unbeirrt. Jedes Mal. Mit Sturheit und Ehrgeiz, wie sie sagt. Diese Eigenschaften gehörten zu ihrem Charakter, meint sie. „Vielleicht liegt es daran, dass mein Sternzeichen Steinbock ist.“ Heute sieht sie die damaligen Mühen differenzierter. „Vielleicht war das für meinen Körper nicht so vernünftig. Inzwischen kann ich mit meinen Knien jedenfalls nicht mehr kicken.“
EINE LAUFBAHN WIE IM BILDERBUCH
Dennoch blickt Künzer glücklich auf die Karriere zurück. Es sei ein Privileg gewesen, als Fußballerin weit herumzukommen und sich einen Namen zu machen. Zudem habe der Sport ihr viel gegeben und so manche Tür geöffnet.Tatsächlich liest sich ihre Laufbahn wie ein Bilderbuch. Aus dem Mädchen, das als Kind deutscher Entwicklungshelfer im südlichen Afrika zur Welt kam und im hessischen Wetzlar aufwuchs, wurde über Stationen bei Eintracht Wetzlar und dem VfB Gießen bei der SG Praunheim respektive dessen Nachfolgerklub 1. FFC Frankfurt eine der erfolgreichsten Fußballerinnen der Republik. 34 Mal stand Künzer bei Länderspielen für die deutsche Nationalmannschaft auf dem Platz, 115 Mal in der Bundesliga, ehe sie 2008 die Karriere beendete.
„Von den Erlebnissen dieser Jahre zehre ich noch immer“, sagt sie zurückblickend. Auch wenn anschließend keineswegs Langeweile herrschte. Künzer, die mit Partner und zwei Kindern noch heute in Wetzlar zu Hause ist, schloss ihr Studium der Pädagogik in Gießen ab, sie wurde zur ehrenamtlichen Botschafterin der Region Mittelhessen und UNICEF-Botschafterin des Mädchenfußballprojekts „Galz & Goals“ in Namibia, sie engagiert sich für die Welthungerhilfe und im Bereich der Suchtvorbeugung. Im Hauptberuf ist sie aber seit mehr als fünf Jahren im Regierungspräsidium Gießen Dezernatsleiterin für den Bereich Integration, Sozialbetreuung und Ehrenamt. Eine sinnstiftende Arbeit sei das, die zu ihrem weiteren Engagement passe, findet die 43-Jährige.
TV-EXPERTIN UND STIFTUNGS-KURATORIN
Dem Fußball ist sie zuvorderst auf zweierlei Arten verbunden geblieben. Künzer ist bei Fernsehübertragungen als Expertin für die ARD im Einsatz und sie unterstützt als stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums die Arbeit der DFB-Stiftung Egidius Braun.
Auch wenn sie den Namensgeber der Stiftung und 2022 verstorbenen DFB-Ehrenpräsidenten nie persönlich kennengelernt hat, fühle sie sich dessen Werten zutiefst verbunden, betont Künzer. Brauns Überzeugung, dass der Fußball eben mehr ist als ein 1:0, sei nach wie vor gültig.
„Über den Sport kann man so viel erreichen“,
macht sie klar – das gelte für Bildungsprojekte und andere Entwicklungsimpulse in ärmeren Ländern, aber auch hierzulande. Der Fußball ermögliche gesellschaftliche Teilhabe unabhängig von Herkunft, Religion, sexueller Orientierung und Alter. Für Menschen mit und ohne Handicap. „Und wer selbst spielt, erfährt, was Zusammenhalt und Teamspirit bewirken können“, sagt sie. Künzer weiß, wovon sie spricht. Spätestens seit sie im Oktober 2003 ein Tor für die Ewigkeit erzielt hat.