DFB-KULTURSTIFTUNG | 2022
Julius Hirsch Preis
MALOCHER FÜR MENSCHENRECHTE
Aufgewachsen in Duisburg als Enkel türkischer Gastarbeiter, muss Burak Yilmaz sich schon früh mit Diskriminierung und der eigenen Identität auseinandersetzen. Ein Schlüsselerlebnis animiert ihn zum Kampf gegen Antisemitismus. Thomas Hackbarth porträtiert den Träger des Julius Hirsch Ehrenpreises 2022.
Als Kind türkisch-kurdischer Eltern geht Burak vormittags auf ein katholisches Gymnasium, nachmittags besucht er die Koranschule. Im Zwiespalt zwischen zwei Kulturen lernt er früh die Bedeutung von Aufklärung und Bildung als Schlüssel, um Vorurteile zu vermeiden. In seinem Umfeld erlebt er hautnah Islamphobie, aber auch Judenhass von muslimischen Jugendlichen, ausgelöst oftmals durch radikale Propaganda.
Ein Ereignis verändert sein Leben. Eines Tages stürmen vier Jugendliche in das Duisburger Jugendzentrum, in dem er arbeitet, und zeigen den Hitlergruß. „Wir sind Antisemiten, daran kannst du nichts ändern“, machen sie sich über ihn lustig. Ein Erlebnis, das Burak prägt und zum Beginn seines persönlichen Einsatzes gegen Judenhass wird. Seit 2012 fährt er regelmäßig mit Jugendlichen in die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. „Muslime in Auschwitz“ heißt das Projekt, aus dem schnell weitere pädagogische Projekte hervorgehen, Workshops, Seminare, Vorträge, ein Theaterstück.
Aber auch der Fußball prägt sein Leben: Zunächst als Spieler, ab 14 Jahren dann auch als Schiedsrichter. „Dort habe ich das Schlichten gelernt“, erklärt er. Für seine spätere Arbeit als Pädagoge sei diese Zeit enorm wertvoll gewesen. Sein damaliger Obmann Gerd Henning, früher selbst als FIFA-Referee erfolgreich, bringt ihm nicht nur das Einmaleins an der Pfeife nahe, sondern auch, dass Schiedsrichter gegen Diskriminierung jeglicher Art und vor allem auch Antisemitismus vorzugehen haben. Burak erkennt, dass auch der Fußball politisch ist: „Rassistische Äußerungen und auch Antisemitismus sind leider auf den Sportplätzen weit verbreitet.“
Deshalb fokussiert sich Burak in seiner Aufklärungsarbeit bis heute auch auf Fußballvereine und den Sportunterricht in Schulen. Er sucht den Dialog mit Schülern, hält Lesungen und Vorträge in Schulen, wird aber auch aktiv von Schülern angeschrieben und nach Hilfe gefragt. Seine Karriere als Schiedsrichter gibt er nach zehn Jahren schweren Herzens auf, weil er auch am Wochenende Aufklärungsarbeit betreiben möchte.
„Antisemitismus ist in der Gesellschaft leider immer noch vorhanden. Deshalb ist es für jeden Einzelnen so wichtig, sich zu engagieren und seine Wachsamkeit der Thematik gegenüber zu stärken.“
Burak Yilmaz
Von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird er 2018 für sein Engagement mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet. Eine Woche später wird Burak in Duisburg von einem Türsteher nicht in den Club gelassen – Ausländer seien an diesem Abend unerwünscht. Es sind diese Höhen und Tiefen, die ihn im Zuge seiner über zehnjährigen Präventionsarbeit gegen Rassismus und Antisemitismus immer wieder begleiten. Inzwischen ist er auch als Berater des Antisemitismusbeauftragten des Bundes tätig.
Am 7. November 2022 wurde der 35-Jährige vor 250 geladenen Gästen im Lichthof der Kunstsammlung Albertinum in Dresden von Ex-Nationalspielerin und DFB-Vizepräsidentin Célia Šašić mit dem Ehrenpreis des Julius Hirsch Preises ausgezeichnet. Kulturstaatsministerin und Stiftungskuratorin Claudia Roth gehört zu den ersten Gratulantinnen. Beeindruckt zeigt sich Burak nicht nur über die öffentliche und prominente Stärkung seines Engagements oder die persönlichen Gespräche mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf oder SDP-Generalsekretär Kevin Kühnert, sondern vor allem über die übrigen Preisträger, die sich im und über den Fußball hinaus gegen den Antisemitismus engagieren und Aufklärungsarbeit betreiben. „Das ist sehr wertvoll für unsere Gesellschaft und ein zusätzlicher Ansporn für mich.“
2021 hat Burak Yilmaz seine Biografie „Ehrensache – Kämpfen gegen Judenhass“ veröffentlicht. Dort verarbeitet er die Konflikte zwischen den unterschiedlichen Kulturen und Religionen, die er bisher erlebt hat, und gibt einen Einblick in die Wurzeln seiner Aufklärungsarbeit.
Julius Hirsch Preis
Der deutsch-jüdische Kaufmann und Nationalspieler Julius Hirsch wurde deutscher Meister mit dem Karlsruher FV 1910 und der Spielvereinigung Fürth 1914. 1943 wurde er in Auschwitz ermordet. Durchgeführt von der DFB-Kulturstiftung, ehrt der DFB in seinem Gedenken seit 2005 Vereine, Institutionen und Einzelpersonen, die sich gegen Diskriminierung und Antisemitismus einsetzen. Zu den Ehrenpreisträgern zählen Persönlichkeiten wie Giovanni di Lorenzo, Thomas Hitzlsperger und die Punkrock-Band Die Toten Hosen.