65 Interview »Mir haben die Demonstrationen im Land Hoffnung gemacht. Da wurde verstan- den, dass wir uns äußern müssen. Eine schweigende Mehrheit darf es nie wieder geben. Denn machen wir uns nichts vor: Es kann sehr schnell zu spät sein.« Marcel Reif waren: Ein Ausschlussverfahren wird nicht funktio- nieren. Wir müssen mit den Menschen, die die AfD wählen, die solchen Gedanken nachhängen, mit denen müssen wir in den politischen Diskurs gehen, die müssen wir decouvrieren. Mir haben die Demonstratio- nen im Land Hoffnung gemacht. Da wurde verstanden, dass wir uns äußern müssen. Eine schweigende Mehr- heit darf es nie wieder geben. Eine schweigende Mehrheit, die ver meintlich nichts mitbekommen hat, die nichts gewusst hat, und wenn, dann reagiert man mit einem »So schlimm wird es schon nicht werden«, so eine schwei gende Mehrheit darf es nie wieder geben. Denn machen wir uns nichts vor: Es kann sehr schnell zu spät sein. Die DFB-Stiftungen machen sich stark für viele Anliegen, etwa für Inklusion, gegen Antisemitismus und für Fuß- ballkultur. Wie erleben und bewerten Sie das soziale Engagement des Fußballs? Und ärgert es Sie genauso wie uns gelegentlich, wenn die Medien mal wieder nicht berichten? Ja, das ist die Crux. Der Profifußball ist so laut geworden. Aber es wird Gutes getan, und es wird das Richtige getan. Der Fußball hat irgendwann und vielleicht gerade noch rechtzeitig begriffen, dass man mit Glanz und Gloria und allem, was damit einhergeht, auch eine Verpflichtung hat. Ich finde, die Stiftungen machen das sehr gut. Über das Stiftungsengagement und die vielen guten Geschich- ten wird selten berichtet, das stimmt, aber das zu be- klagen, ist ein bisschen wohlfeil. Und der manchmal ausbleibende Applaus darf nicht dazu führen, dass man irgendwann beschließt, jetzt lassen wir es. Gutes tun und darüber reden. Und damit leben, dass die sehr schrillen Nebengeräusche des Fußballs manches übertönen. Sie haben mal Wolfgang Overath getunnelt. Und sind unbeschadet rausgekommen. Wie kam es dazu? Aus purer Erschöpfung war ich nicht mehr in der Lage, den Versuch zu wagen, an ihm vorbeizulaufen. Also habe ich dem Ball den kürzesten Weg gegeben. Und als es passiert war, wurde mir schlagartig klar, was ich da getan hatte. Einem Idol den Ball durch die Beine gespielt. Das war damals bei einem Hallenkick der Kölschen Altprofis. Einmal die Woche spielten die Granden, und die hatten mich eingeladen. Und dann passierte das. Ich habe ver- sucht, das sofort mit Wolfgang Overath zu klären, und es hat unserem Verhältnis nicht geschadet. Wir mögen uns gern. Aber ich bin damals ein großes Risiko eingegangen. Overath hat auch im vorgerückten Alter seinen Ehrgeiz nie verloren. Wer mit Wolfgang Overath Fußball spielte, musste wis- sen, worauf er sich einlässt. Verlieren war keine Option. Gab es für Sie als junger Spieler mal den Traum von der Profikarriere? Ich war sehr nah dran, spielte in der A-Jugend des 1. FC Kaiserslautern. Dann zogen meine Eltern von Kaisers- lautern nach Heidelberg. Möglicherweise hat mir das Schicksal damit einen Hinweis gegeben. Irgendwann wurde mir klar, dass mir einige der Zutaten fehlten, die es neben dem Talent noch für eine Profikarriere bräuchte. Die Erkenntnis kam mir Gottsei Dank rechtzeitig. So wie es am Ende gekommen ist, war es nicht verkehrt. Wie beurteilt der Fußballfachmann Marcel Reif den Einfluss des Fußballjournalisten Marcel Reif? Haben Sie den Livekommentar präziser gemacht? Jetzt überfordern Sie mich heillos. Ich bin nicht uneitel, aber über mich selbst sprechen … Jedenfalls war es nicht so, dass ich mir überlegt hätte, jetzt mache ich das mit dem Kommentar mal so. Beim Livekommentar über 90 Minuten, da können Sie nur so sein, wie Sie sind. Die Dauer meiner Hervorbringungen in dem Metier ist Beleg dafür, dass ich es nicht ganz verkehrt gemacht habe. Ich verstand mein Handwerk. Und damit meine ich Sprache und fachliche Kompetenz. Wie viel Spaß bereitet Ihnen »Reif ist live«? Sehr viel Spaß, sonst würde ich es nicht machen. Zwei- mal die Woche in Berlin, immer live. Das hält Diszi- plin. In dem Moment, wo ich zum ersten Mal sage, was bitte wurde gerade gefragt, woher soll ich das wissen, verspreche ich Ihnen, verlasse ich auf dem Absatz kehrtmachend das Studio.