Leuchtturm / DFB-Stiftung Egidius Braun

HILFE FÜR FREUNDE IN NOT

Zwei Jahre und schon wieder ein paar Wochen sind vergangen, seitdem Russland das Nachbarland Ukraine angegriffen hat. Wir im Westen haben mittlerweile und sicher zu spät verstanden, was wir jahrelang gedanklich ins hintere Schrankeck gepackt hatten. Dass der Krieg schon 2014 mit der Annexion der Krim begonnen hatte. Heute kennen wir die Namen von Panzern und Flugabwehrsystemen. Wir wissen, dass Taurus mehr ist als das lateinische Wort für Stier. Wir kennen Städtenamen wie Irpin, Mariupol, Butscha. Wir wissen so viel mehr als vor dem 24. Februar 2022 und haben keine Ahnung, ja nicht den Hauch einer Vorstellung, was der manchmal wütende und manchmal schwelende Krieg mit jedem einzelnen Menschen in der Ukraine und mit so vielen Menschen auch in Russland macht.

 

Der Fußball in Deutschland, der DFB, seine Landesverbände, die Nationalmannschaft und die DFB-Stiftung Egidius Braun reagierten schnell auf den russischen Angriff vor zwei Jahren. Schon Anfang März 2022 hatten die Stiftung der Nationalmannschaft und die DFB-Stiftung Egidius Braun 100.000 Euro bereitgestellt. Die nach dem DFB-Ehrenpräsidenten benannte Stiftung engagiert sich seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Ukraine, beispielsweise für das Kinderkrankenhaus in Charkiw. Schon in den Neunzigerjahren hatte Egidius Braun erkannt, wie wichtig es sein würde, die ehemaligen Sowjetrepubliken zu fördern. In der 2001 errichteten und nach ihm benannten Stiftung übersetzte Braun seine weitsichtige politische Überzeugung in zahlreiche karitative Projekte. Der Anfang war lange vor dem Frühjahr 2022 schon gemacht, Beziehungen entwickelt, Strukturen erarbeitet. Wenige Tage nach der Sockelspende von 100.000 Euro verzehnfachte Dietmar Hopp dann den Betrag, indem er eine Million Euro in den Nothilfefonds der Stiftung spendete. Braun verstarb wenige Wochen nach Kriegsausbruch am 16. März 2022 im Alter von 97 Jahren. Dass der Mann, der einst nach dem Zerfall der Sowjetunion die Hilfe des deutschen Fußballs begann, kurz vor seinem Lebensende registrieren musste, dass es in der russischen Politik die ernsthafte Absicht gibt, die Sowjetunion wieder entstehen zu lassen, ist ein trauriger Verlauf der Geschichte.

 

Erinnerungen an Tag 1

Russland ist fast 30-mal größer als die Ukraine, 38 Millionen Menschen in der Ukraine stehen einer russischen Bevölkerung von 144 Millionen gegenüber. Goliaths Frontalangriff aber scheiterte. Ende März 2022 zogen sich die russischen Truppen zurück, der schnelle Vorstoß auf Kiew konnte gestoppt werden. Der Versuch, die ukrainische Regierung zu stürzen und ein prorussisches Marionettenkabinett zu installieren, war misslungen.

Die ukrainische Essayistin Kateryna Mishchenko erinnert sich an den Tag eins: »An die ernsten Gesichter der Menschen in der morgendlichen Schlange im Supermarkt. An die zitternden Hände der Verkäuferin in der Zoohandlung. Ihre Verwandten sind irgendwo im Gebiet Tschernihiw, dort ist die russische Armee schon. In einer Buchhandlung mit Café, wo ich ein bisschen arbeiten wollte, ist der Barista ein ehemaliger Soldat. Sein Freund wurde an dem Tag mobilisiert, eine Woche später sollte er Vater werden. Ich sitze da und blicke aus dem Fenster, das die ganze Wand einnimmt, auf meine Straße und frage mich, ob er keine Angst hat bei so einem großen Fenster, wie viele Glasscherben es geben wird.« (Aus dem Text »Spiegel der Seele«, abgedruckt in der Anthologie »Aus dem Nebel des Krieges«, Suhrkamp-Verlag.)

 

»Die Angriffe beginnen um zwei oder drei Uhr nachts. Meistens schlafe ich erst gegen fünf Uhr wieder ein.«

Olena Noha

 

Vielfältige Initiativen

Gemeinsam mit Partnern, zu denen auch die Stiftung der Nationalmannschaft zählt, hat die DFB-Stiftung Egidius Braun seit Kriegsbeginn bis heute mehr als zehn Millionen Euro für Hilfsprojekte und notleidende Menschen in der Ukraine angesammelt und zum großen Teil an Hilfsprojekte weitergegeben, unter anderem über das Kindermissionswerk »Die Sternsinger«, die ukrainische Caritas und die Klitschko Foundation. Zu diesem Betrag konnte man auch über das Länderspiel der Nationalmannschaft gegen die Ukraine vor 35.000 Zuschauern im Bremer Weserstadion im Juni 2023 beitragen. Das Spiel der Hilfe war gleichzeitig das 1.000 Länderspiel einer deutschen Nationalmannschaft. DFB-Präsident Bernd Neuendorf betonte: »Das 1.000. Länderspiel der deutschen A-Nationalmannschaft der Männer ist ein ganz besonderes Ereignis. Wir möchten es nutzen, um ein klares Zeichen für Frieden und Völkerverständigung und gegen Krieg und Zerstörung zu setzen.«

Eine weitere Initiative der Stiftung kam vor allem den aus der Ukraine geflüchteten Menschen zugute. Mehrheitlich handelte es sich um unbegleitete Frauen und Kinder. Den ukrainischen Männern zwischen 18 und 60 Jahren war und ist bekanntlich die Ausreise in der Regel nicht gestattet. Schon bis Ende März 2022 waren über vier Millionen Ukrainer vor den Kämpfen und dem russischen Bombardement geflohen. Mit einer Anerkennungsprämie förderte die Stiftung nun Fußballvereine, die geflüchtete ukrainische Kinder zum Fußballspielen einluden. Für die Integration in den Spiel- und Trainingsbetrieb stellte die Stiftung den auf bemerkenswerte Weise engagierten Fußballvereinen eine Anerkennungsprämie in Höhe von jeweils 500 Euro zur Verfügung. Mit der Zuwendung konnten beispielsweise Fußballschuhe, Trainingsanzüge oder Mitgliedsbeiträge finanziert werden. Die Vereine belegten, dass sie geflüchtete ukrainische Menschen in ihrer Organisation aufgenommen hatten. Danach entschieden sie selbst. Das Projekt funktionierte niedrigschwellig, die Hilfe kam schnell an. Im Juli 2022 kam die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration mit an Bord. Ein neues Projekt wurde gemeinsam gestartet. Bis zum Jahresende 2023 hatte man gemeinsam 587 Klubs mit einem Gesamtbetrag von 293.500 Euro unterstützt. »An der oft zitierten Fußballbasis wird Bemerkenswertes für die Integration ukrainischer Menschen geleistet. Wir danken Staatsministerin Reem Alabali-Radovan und ihrem Arbeitsstab für die Unterstützung und unser Miteinander«, sagte DFB-Vizepräsident und Stiftungsvorsitzender Ralph-Uwe Schaffert. Bereits in den Jahren 2015 bis einschließlich 2021 hatten sich die Beauftragte der Bundesregierung und die DFB-Stiftung Egidius Braun mit den Initiativen »1:0« und »2:0 für ein Willkommen« für geflüchtete Menschen starkgemacht, 3.773 Förderanfragen positiv beschieden und dafür in toto 2.363.765,18 Euro bereitgestellt. Vor dem traurigen Hintergrund des Angriffskrieges musste dieses Engagement neu ausgerichtet fortgesetzt werden.

 

Winterschuhe für Kinder

Olena Noha lacht, wenn es zum Weinen nicht reicht. Die 43-jährige Abteilungsleiterin bei der Caritas-Spes ist seit vielen Jahren die dortige Ansprechpartnerin der DFB-Stiftung Egidius Braun. Es ist schon ein paar Monate her, dass wir per Videoschalte miteinander sprachen. Damals musste die ukrainische Flugabwehr jede Nacht etliche russische Raketen über Kiew abfangen. Was nicht immer gelang. »Das Nationalbüro der Caritas befindet sich im Stadtzentrum. Derzeit arbeiten alle aus dem Homeoffice, aber sicher kann man sich dort auch nicht fühlen. Vergangene Nacht starben zwei Kinder. Hier in der Nähe meiner Wohnung haben wir keinen Luftschutzkeller. Die Angriffe beginnen um zwei oder drei Uhr nachts. Meistens schlafe ich erst gegen fünf Uhr wieder ein. Um sieben Uhr muss ich wieder aufstehen für die Arbeit. Es ist too much«, sagte sie damals und lachte kurz. Über den Winter hatte sie dank der Unterstützung aus Deutschland 2.000 Paar Kinderschuhe gekauft. Verteilt übers Land betreibt die Caritas-Spes vier Ferienhäuser und 19 Waisenhäuser.

 

»Dort versteckt sich die Seele vor einem schrecklichen Gedanken. Dass ein Vernichtungskrieg in mein Leben getreten ist und alles darin umbringt.«

Kateryna Mishchenko

 

Benefizspiel in Hamburg

Alles musste sehr schnell gehen. Gerade für die vielen Binnenflüchtlinge im Land wurde fast alles gebraucht. Schlafsäcke, Schuhe, Anoraks, Zelte, Powerbanks. Schon am 28. Mai 2022 kam es zu einer Begegnung, bei der die DFB All-Stars auf eine Auswahl mit Legenden des Hamburger SV trafen.

Hamburgs Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher und Dr. Wladimir Klitschko übernahmen die Schirmherrschaft. Ehemalige HSV-Größen wie Piotr Trochowski, Stig Töfting, Marcell Jansen, Christian Rahn, Thomas Gravesen, Harald Spörl, Bastian Reinhardt und Mohamed Zidan trafen auf ehemalige Nationalspieler wie Thomas Helmer, Patrick Owomoyela, Christian Träsch und Patrick Helmes, verstärkt durch Nationalspielerinnen wie Navina Omilade, Conny Pohlers und Ursula Holl. »Mit den richtigen Spielern im Team hat man große Chancen zu gewinnen«, sagte der ehemalige Schwergewichtsweltmeister Wladimir Klitschko.

 

Inter Exchange Academy in Berlin

Manchmal stärken auch eine Begegnung oder ein paar schöne Tage. Drei Mal bereits haben die DFB-Stiftung Egidius Braun und die Klitschko Foundation mit ihrer interkulturellen Inter Exchange Academy junge Menschen aus der Ukraine und Deutschland eingeladen, um sich kennenzulernen, auszutauschen und fortzubilden. Im September 2023 fand das Treffen in Berlin statt. Man diskutierte über Fußball und Politik und schaffte es für ein paar Stunden, die Schrecken zu vergessen. Auch beim Austausch mit dem online zugeschalteten Wladimir Klitschko oder beim Treffen mit dem Bundestagsabgeordneten Tilman Kuban, mit 36 Jahren einer der jüngeren Parlamentarier. Der Tag endete mit einem Grillabend, bei dem der Musiker Mijo seine Songs am Lagerfeuer spielte. »Über Grenzen hinweg haben alle Kontakte geknüpft. Die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben voneinander und miteinander gelernt und auf diese Weise Impulse erhalten, die sie in ihrem weiteren Leben begleiten werden«, freute sich Stiftungsschatzmeister Stephan Grunwald.

Die schönen Tage in Berlin aber, sie sind die Ausnahme. Die Ukraine war für uns Deutsche lange Zeit nicht mehr als ein Flyover-Land. Auf dem Weg zum Badeurlaub nach Thailand, zur großen Rundreise nach Australien. Doch seit zwei Jahren ist das, was in Kiew, Charkiw, Odessa und anderswo passiert, eng verbunden mit unserer Geschichte. Wir können nicht mehr wegsehen. Wir können die Ukraine und ihr Schicksal nicht mehr wegpacken. Kateryna Mishchenko schreibt über die furchtbare Situation in der Ukraine: »Das Übermaß an Zerstörung und Brutalität macht mir vor allem klar, wie groß mein Land ist. Es wird so lange und so brutal zerstört, und es bleibt hartnäckig bestehen.«

Und am Ende ihres Essays schreibt die 29-jährige Ukrainerin: »Ich denke, wenn ich versuche, den verlorenen Teil von mir in den Ecken meines inneren Zuhauses zu finden, wird sich eine kleine Lücke auftun – ein Ort, an dem dieser Luftzug der Augen frei fließt. Dort versteckt sich die Seele vor einem schrecklichen Gedanken. Dass ein Vernichtungskrieg in mein Leben getreten ist und alles darin umbringt.«

Für uns steht fest: Die deutsche Fußballfamilie ist und bleibt an der Seite der Menschen in der Ukraine und wird auch mit den Möglichkeiten der DFB-Stiftung Egidius Braun weiterhin die Hilfe leisten, die notwendig und für uns darstellbar ist.