Leuchtturm / DFB-Stiftung Sepp Herberger

AUF DIE PERSPEKTIVE KOMMT ES AN

Resozialisierung war auch im Jahr 2023 wieder eines der großen Themen in der DFB-Stiftung Sepp Herberger. Zahlreiche Persönlichkeiten des Fußballs waren in Justizeinrichtungen zu Gast und haben mit den Häftlingen über ihre Perspektive nach der Freilassung gesprochen. Eines von vielen Highlights war der Besuch der Frauen des FC Bayern München in der JVA Aichach.

 

Sie sind mit einem flauen Gefühl im Magen gekommen. Gegangen sind sie nach drei Stunden wieder mit vielen neuen Eindrücken und der Gewissheit, etwas Gutes getan zu haben. Natürlich haben sich auch die Fußballerinnen des FC Bayern vorher gefragt, wie es hinter Gittern sein wird. Wie die Menschen ticken, die sie dort treffen werden. Wie es sich anfühlt, wenn man mit dem Blick den Horizont sucht und dort nur meterhohe Mauern und Stacheldraht sieht.

 

Die Initiative zu dem Besuch in der bayerischen JVA ging von Bianca Rech aus. Einst war sie selbst Nationalspielerin, heute ist sie Abteilungsleiterin der Münchner Fußballerinnen. Fast der gesamte Kader des Meisters – gespickt mit deutschen und internationalen Nationalspielerinnen – war dabei. Und sie waren nicht gekommen, um sich nur durch die Räumlichkeiten führen zu lassen. Sie waren gekommen, um zu helfen. Um eine Perspektive zu geben. Um in schweren Stunden Mut zu machen und für Abwechslung zu sorgen.

 

Sepp Herberger selbst besuchte im September 1970 die JVA im baden-württembergischen Bruchsal und machte sich das Wirken in Haftanstalten zur Lebensaufgabe.

 

Besonders gut konnte man das bei Linda Dallmann, der 59-fachen deutschen Nationalspielerin, erleben. Die 29-Jährige war so ergriffen nach einem Gespräch mit einer Inhaftierten, dass sie ihr spontan ihren FC Bayern-Pullover und ihre Schuhe schenkte. Dallmann wollte das ganz bewusst nicht als Zeichen des Mitleids oder der selbstgefälligen Generosität verstanden wissen. Für sie war es eine Herzensangelegenheit. »Als das Mädchen gefragt wurde, ob ihre Familie sie besuchen kommt, hat sie angefangen zu weinen. Ich wollte sie durch eine Kleinigkeit aufbauen«, sagte Dallmann hinterher. Und das gelang: »Aber jetzt hast du doch keinen Pulli mehr«, stellte das Mädchen fest. Dallmann antwortete: »Ich habe zwei davon. Einer reicht mir.«

 

Es sind diese kurzen Momente, die immer wieder zeigen, warum ebensolche Besuche das Fundament des Resozialisierungsbemühens der DFB-Stiftung Sepp Herberger bilden. Das Engagement im Strafvollzug ist die älteste Säule der Stiftungsarbeit. Sepp Herberger selbst besuchte im September 1970 die JVA im baden-württembergischen Bruchsal und machte sich das Wirken in Haftanstalten zur Lebensaufgabe. Dieses Bemühen wurde sieben Jahre später mit der Errichtung der Stiftung institutionalisiert.

 

Nach dem Tode Herbergers engagierte sich Fritz Walter als Botschafter für die Stiftung und besuchte in dieser Funktion bundesweit mehr als 200 Mal Justizvollzugsanstalten. Noch heute sind die Besuche der Stiftungsbotschafterinnen und -botschafter bei den Strafanstalten stark nachgefragt. Zahlreiche prominente Fußball-Persönlichkeiten unterstützen die Stiftungsarbeit. Im persönlichen Gespräch informieren sie sich über die Schicksale der Straftäterinnen und Straftäter und berichten über ihren eigenen Lebensweg. Sportlicher Höhepunkt ist oft ein gemeinsames Fußballtraining. Viele Förderanträge aus Haftanstalten quer durch die Republik erreichen die DFB-Stiftung Sepp Herberger. Die Anstalten bitten dabei vor allem um die Bereitstellung von Sportmaterialien. Die Stiftung hilft im Rahmen ihrer Möglichkeiten und stellt zum Beispiel Spielbälle und Trikots zur Verfügung. Im Rahmen der Initiative »Anstoß für ein neues Leben« liegt der Schwerpunkt auf der Resozialisierung jugendlicher Strafgefangener. Hier besteht seit einigen Jahren eine Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit.

 

Die Inhaftierten erläuterten ihren Lebensweg, der häufig mit tiefen biographischen Brüchen versehen ist, oder führten ihre Träume und Wünsche für die Zukunft aus. Die Profispielerinnen zeigten sich dabei besonders respektvoll, aufgeschlossen und empathisch.

 

Die Bayern-Fußballerinnen erhielten zunächst im Rahmen einer Anstaltsführung intensive Einblicke in den Alltag hinter Gefängnismauern. Insbesondere das persönliche Erleben der Enge in den rund acht Quadratmeter großen Haftzellen regte zum Nachdenken an. »Wir sind dankbar, dass wir über diesen Besuch einen wertvollen Perspektivwechsel außerhalb unseres sportlichen Alltags erfahren durften, aus dem wir Demut und Dankbarkeit für das eigene privilegierte Leben mitnehmen«, betonte Abteilungsleiterin Bianca Rech.

 

Nach der Führung stand dann die Begegnung mit einer Gruppe weiblicher Inhaftierter auf dem Programm. Über die Durchführung gemeinsamer Team-Spiele wurden Berührungsängste und Vorurteile schnell abgebaut. Sport verbindet – das belegte die lockere Atmosphäre unter den Teilnehmenden. Bei der anschließenden Gesprächsrunde tauschten sich beide Delegationen aus. In Stuhlkreisen saßen sie zusammen. Die Inhaftierten erläuterten ihren Lebensweg, der häufig mit tiefen biographischen Brüchen versehen ist, oder führten ihre Träume und Wünsche für die Zukunft aus. Die Profispielerinnen zeigten sich dabei besonders respektvoll, aufgeschlossen und empathisch. Sie hörten zu, stellten Fragen oder berichteten aus ihren sportlichen Karrieren.

 

»Lernt aus euren Fehlern und fangt noch mal von vorne an. Ein Nachmittag, der sowohl den Inhaftierten wie auch den Profifußballerinnen noch lange in Erinnerung bleiben wird.«

Jürgen Pfau, Vizepräsident des Bayerischen Fußball-Verbandes

 

»Es war ein Austausch auf Augenhöhe. Es gab in diesen Momenten keine Unterschiede zwischen uns«, meinte Nationalspielerin Sidney Lohmann. »Uns ist bewusst, dass die Frauen, mit denen wir gesprochen haben, große Fehler in der Vergangenheit begangen haben. Auf der anderen Seite sind es jedoch auch Menschen, die eine zweite Chance verdient haben«, ergänzte Linda Dallmann.

 

Auch Markus Hörwick, Kuratoriumsmitglied der DFB-Stiftung Sepp Herberger und langjähriger Mediendirektor des FC Bayern München, war vor Ort und motivierte die Insassen: »Wir wollen euch zeigen, dass wir euch nicht vergessen haben und an euch glauben. Lernt aus euren Fehlern und fangt noch mal von vorne an.« Jürgen Pfau, Vizepräsident des Bayerischen Fußball-Verbandes, richtete ebenfalls wichtige Worte an die Inhaftierten: »Es ist wichtig, nach der Inhaftierung ein neues Umfeld aufzubauen. Traut euch und werdet Mitglied in Sportvereinen. Dort könnt ihr Gemeinschaft erfahren sowie Halt und Orientierung finden.«

 

Nach spannenden, intensiven und lehrreichen drei Stunden ließen die Spielerinnen des FC Bayern München die Gefängnismauern der JVA Aichach hinter sich. Ein Nachmittag, der sowohl den Inhaftierten wie auch den Profifußballerinnen noch lange in Erinnerung bleiben wird.

 

Weitere Besuche in Justizvollzugsanstalten in 2023

Februar:

o Besuch des VfL Osnabrück in der JVA Vechta

April:

o Ex-Nationalspieler Marco Bode zu Gast in der JVA Oldenburg-Wilhelmshaven

Juni:

o Nachwuchsspieler des FC Hansa Rostock zu Besuch in der JVA Neustrelitz

Juli:

o Besuch der U19-Mannschaft des VfL Osnabrück in der JVA Vechta

August:

o U19-Nachwuchs der TSG 1899 Hoffenheim zu Besuch in der JVA Adelsheim

Oktober:

o Bundesliga-Spieler Maximilian Wittek besucht die JVA Wuppertal-Ronsdorf.

o Ex-Profi André Trulsen ist zu Gast in der JVA Fuhlsbüttel.

o Bundesliga-Fußballerinnen des 1. FC Köln trainieren in der JVA Köln gemeinsam mit weiblichen Strafgefangenen.

o Ex-Nationalspielerin Annike Krahn tauscht sich in der JVA Iserlohn mit Jugendstrafgefangenen aus.

o Ex-Nationalspielerin Renate Lingor besucht die JVA Zweibrücken.

November:

o Ex-Profifußballer Uli Borowka berichtet in der JVA Vechta über seine Alkoholsucht.

o Zwei Jugendtrainer des 1. FC Nürnberg sind für eine gemeinsame Trainingseinheit in der JVA Ebrach zu Gast.

o Guido Streichsbier, Co-Trainer der Profimannschaft von Borussia Mönchengladbach, besucht die JVA Heinsberg.

o Hanno Balitsch ist als Gesprächsgast zu Besuch bei einem Fußballturnier in der JVA Frankfurt am Main I.

Dezember:

o Felix Kroos, Bruder von Nationalspieler Toni Kroos, ist Ehrengast bei der jährlichen Adventsfeier in der JSA Berlin.

o Zur Verlängerung der Kooperationsvereinbarung zwischen den DFB-Stiftungen Sepp Herberger und Egidius Braun sowie der Bundesagentur für Arbeit besuchte eine Delegation um Ralph-Uwe Schaffert, Vorsitzender der DFB-Stiftung Sepp Herberger, und Kuratoriumsmitglied Jens Nowotny die JVA Rockenberg.