Leuchtturm / DFB-Stiftung Sepp Herberger

EIN SPIEGELBILD DES FUSSBALLS

Im September 2023 wurden die Fußball-Inklusionstage zum zweiten Mal unmittelbar im Schatten des Kölner Doms durchgeführt. Erneut begeisterten die rund 350 Spielerinnen und Spieler mit und ohne Handicap die Menschen auf den Tribünen. Erstmals wurde auch der Deutsche Amputierten-Fußball-Cup ausgespielt.

 

Die stimmungsvolle Premiere im Vorjahr auf dem Kölner Roncalliplatz hatte den Weg gewiesen. Da fühlte sich die Zweitauflage der Fußball-Inklusionstage im September an gleicher Stätte schon wie ein Stück kölscher Selbstverständlichkeit an. Und das im allerbesten Sinne. Das Zusammenspiel von Aktiven und Besucherinnen und Besuchern im Schatten des Doms passte schlichtweg. So wurden die Tage im Herzen der Rheinmetropole erneut auf beeindruckende Weise zum Spiegelbild des Fußballs in all seinen Facetten.

 

Fußballerinnen und Fußballer mit geistigen, körperlichen oder Sinnesbeeinträchtigungen lieferten sich auf einem 40 × 20 Meter großen Kunstrasenplatz packende Spiele, und ihre Begeisterung für den Sport wurde zum zweiten Mal zu einem Funken, der übersprang. Zahlreiche Passantinnen und Passanten nutzten die Chance und nahmen auf den mobilen Tribünen Platz, um sich einen Eindruck zu verschaffen und die Atmosphäre einzusaugen.

 

Perfekte Bühne für herausragende Leistungen

»Es hat sich erneut als richtig erwiesen, mit dieser Veranstaltung ins Herz einer Metropole zu gehen. Viele Menschen haben zugeschaut und waren sichtlich begeistert. So wurden die Inklusionstage zu einer perfekten Bühne, um die herausragenden Leistungen der Fußballerinnen und Fußballer mit Behinderung einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren«, erklärte Ralph-Uwe Schaffert, DFB-Vizepräsident und Vorsitzender der DFB-Stiftung Sepp Herberger.

Die Fußball-Inklusionstage, die von der Stiftung gemeinsam mit der Sportstadt Köln, dem Fußball-Verband Mittelrhein, dem 1. FC Köln und weiteren Kooperationspartnern unter dem Motto »Mit Fußball in die Mitte der Gesellschaft« ausgerichtet wurden, erfüllten damit erneut den Anspruch der Macher: Sie waren ein Stück gelebte Vielfalt und Inklusion.

 

»Die schöne Kulisse, die vielen Menschen hier am Dom verschaffen dem Amputierten-Fußball Aufmerksamkeit.«

Nicola Roos, Teilnehmerin am Deutschen Amputierten-Fußball-Cup

 

Ein Pokal bleibt in Köln

Die DFB-Meisterplakette als Deutscher Meister im Blindenfußball sicherten sich die Sportfreunde Blau-Gelb Blista Marburg. Beim Werkstätten-Turnier blieb der Pokal in der Domstadt. Die Gemeinnützigen Werkstätten aus Köln belegten den ersten Platz. Lars Reichel war einer der Akteure, die Anteil an diesem Triumph hatten. Warum Fußball gerade auch für Menschen mit einer Behinderung ein gutes Erlebnis sein kann, wurde Reichel gefragt. »Weil wir uns kennenlernen und enger zusammenwachsen. Ich habe gelernt, jeden erst mal so zu nehmen, wie er ist«, antwortete der 20-Jährige.

Mit guten Erinnerungen verließ auch Nicola Roos die Millionenstadt am Rhein. Sie gehörte zum Team des 1. FSV Mainz 05, das hinter dem Sieger Fortuna Düsseldorf und der zweitplatzierten Spielgemeinschaft Nord-Ost beim erstmals in Köln ausgetragenen Deutschen Amputierten-Fußball-Cup antrat. »Wir hatten natürlich gehofft zu gewinnen, aber es war auch so ein großartiges Turnier«, fand die 17-jährige Schülerin, die sich vor gut zwei Jahren aufgrund einer Krebserkrankung einer Amputation am Bein hatte unterziehen müssen. Seit anderthalb Jahren spielt Roos wieder Fußball, eine Leidenschaft, die sie bereits seit ihrem vierten Lebensjahr begleitet. »Ich denke, die schöne Kulisse, die vielen Menschen hier am Dom verschaffen dem Amputierten-Fußball Aufmerksamkeit. Es ist wichtig, dass mehr Menschen diese Variante des Fußballs kennenlernen und vielleicht in Mannschaften aktiv werden«, betonte sie.

 

Namhafte Gäste aus Sport, Politik und Gesellschaft

Insgesamt waren an den drei Tagen in Köln rund 350 Fußballerinnen und Fußballer mit und ohne Behinderung dabei. Viele Größen des deutschen Fußballs und weitere namhafte Gäste aus Politik, Sport und Gesellschaft verschafften sich einen Eindruck vor Ort. Darunter Torhüter-Legende Toni Schumacher, der als Botschafter der UEFA Euro 2024 für den Austragungsort Köln im Einsatz ist, Bundesliga-Trainer Steffen Baumgart, TV-Moderatorin Shary Reeves und der ehemalige Nationalspieler Lukas Sinkiewicz. Unterstützt wurden die Fußball-Inklusionstage von der Deutschen Telekom, Volkswagen, SAP und der Aktion Mensch.

MARBURGER NERVENSTÄRKE WIRD MIT MEISTERPLAKETTE BELOHNT

In einem packenden Abschlussturnier gelingt es den Blindenfußballern der SF Blista Marburg, den Titelverteidiger FC St. Pauli auf Platz zwei zu verweisen. Die Bundesligapartien sind der sportliche Höhepunkt der Fußball-Inklusionstage.

 

Das Saisonfinale der Blindenfußball-Bundesliga hatte Hochspannung versprochen. Und es wurde das erhoffte Highlight. Das lag an der beeindruckenden Kulisse, den 157 Meter hohen Türmen des Kölner Doms, in deren Schatten gespielt wurde. Das lag aber allem voran an den Akteuren. In den Monaten zuvor hatten die SF Blista Marburg und der FC St. Pauli mit starken Leistungen die Weichen für das entscheidende abschließende Duell um die Meisterplakette gestellt. Die Kiezkicker hatten genau wie die Kontrahenten aus Nordhessen 17 Punkte gesammelt, bevor das Turnier in Köln anstand. Dort boten die Akteure dann Leistungen, die eines furiosen Finales würdig waren.

 

Nach den ersten beiden Spielen des Tages begann das Meisterschaftsrennen mit dem Spiel Blista Marburg gegen Borussia Dortmund. Bis zur letzten Minute der ersten Halbzeit stemmte sich Dortmund mit aller Macht gegen den favorisierten Tabellenersten aus Marburg. Der BVB war sogar die überlegene Mannschaft. Ein ums andere Mal musste Marburgs Torwart Sebastian Themel gegen einschussbereite Dortmunder retten. Eine Minute vor dem Abpfiff startete dann der Marburger Ali Can Pektas den entscheidenden Angriff mit einem Sprint aus der eigenen Hälfte. Mit seinem Schuss aus acht Metern ins rechte Eck traf er zum 1:0-Entstand.

 

»Die Blindenfußballerinnen und -fußballer zeigten hervorragenden Sport, sodass die Meisterschaft bis zum Schluss hoch spannend war.«

Ralph-Uwe Schaffert, Vorsitzender der DFB-Stiftung Sepp Herberger

 

MTV Stuttgart dreht die Partie noch

Mit einem hohen Sieg über den MTV Stuttgart hätte der Vorjahressieger FC St. Pauli im letzten Spiel der Saison den SF Blista Marburg den Titel noch wegschnappen können. Die Hamburger gingen sogar mit 1:0 in Führung. Dann aber führte Kahraman Kurbetoglu mit einem Doppelpack das Stuttgarter Team doch noch zu einem 2:1-Erfolg.

Nach dem Abpfiff feierte nicht nur der MTV Stuttgart seinen Sieg, auf der Tribüne jubelten auch die Akteure aus Marburg. Die Niederlage der Hamburger brachte ihnen schließlich den sechsten Meistertitel. Nur noch ein Triumph fehlt den Hessen nun auf den Rekordmeister MTV Stuttgart, der Dritter wurde. Platz vier ging an Borussia Dortmund vor Hertha BSC, dem FC Schalke 04, dem VSC/ABSV Wien, der SG PSV Köln/Fortuna Düsseldorf und dem FC Ingolstadt.

Der Weg zur Meisterplakette führte die Marburger Spieler durch ein Spalier des Vizemeisters vom FC St. Pauli. Kuratoriumsmitglied und Trainerlegende Otto Rehhagel und DFB-Vizepräsident Ralph-Uwe Schaffert eröffneten die Meisterfeier mit der Übergabe der offiziellen DFB-Meisterplakette. Dr. Ralf Heinen, Bürgermeister der Stadt Köln, Dr. Christos Katzidis, Präsident des Fußball-Verbandes Mittelrhein, Rüdiger Oppers, Beauftragter des Präsidiums des Deutschen Behindertensportverbandes, und Bernd Peters, Präsidiumsmitglied des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes, zählten zu den ersten Gratulanten. Neben dem Meistertitel gingen auch zwei Einzelehrungen nach Marburg: Taime Kuttig wurde zum besten Spieler und Sebastian Themel zum besten Torwart gekürt.

 

Spannung bis zum Schluss

»Wir freuen uns, im zweiten Jahr in Folge vor dieser tollen Kulisse am Kölner Dom den Finalspieltag der Blindenfußball-Bundesliga ausgespielt zu haben. Die Blindenfußballerinnen und -fußballer zeigten hervorragenden Sport, sodass die Meisterschaft bis zum Schluss hoch spannend war«, resümierte Ralph-Uwe Schaffert, Vorsitzender der DFB-Stiftung Sepp Herberger.

Unterstützt wurde die Blindenfußball-Bundesliga auch im Jahr 2023 von der Deutschen Telekom, Volkswagen und VANDA Pharmaceuticals.

ALI CAN PEKTAS: »FUSSBALL IST FREIHEIT UND PURES GLÜCK.«

Ali Can Pektas gehörte zu jenen Spielern, für die die Fußball-Inklusionstage in Köln zur ganz großen Bühne wurden. Der 30-Jährige, einer der besten Blindenfußballer Deutschlands, schoss die SF Blista Marburg zum sechsten Titel. Nach dem Triumph beschrieb Pektas, der ohne Sehvermögen auf die Welt gekommen ist, was er auf dem Platz empfindet.

 

Fußball – das ist für mich das komprimierte Leben. Du hast mal Pech, mal Glück, mal bist du gut und verlierst, mal bist du schlecht und gewinnst trotzdem. Mal hast du Einfluss, mal steuern eher andere die Dinge. Alles passiert im Schnelldurchlauf. Meistens merkst du im Leben erst nach zwei oder drei Jahren, ob du die richtige Entscheidung getroffen hast. Auf dem Platz weißt du es sofort. Ich bin Spieler bei Blau-Gelb Blista Marburg, dem sechsmaligen und aktuellen Deutschen Meister im Blindenfußball, und der erfolgreichste Torschütze in der Liga. Fußball ist meine große Leidenschaft – auch wenn ich keines meiner vielen Tore je gesehen habe. 1993 bin ich blind zur Welt gekommen, und mit 13 Jahren entdeckte ich den Blindenfußball. Parallel zur WM gab es im Sommer 2006 Demonstrationswettbewerbe. Irgendwann fand an meiner Schule ein Workshop statt. Und weil der Fußball mich begeisterte, hat es mich sofort gepackt.

 

»Fußball ist meine große Leidenschaft – auch wenn ich keines meiner vielen Tore je gesehen habe.«

Ali Can Pektas

 

Um als blinder Mensch selbst Fußball zu spielen, ist der Hörsinn entscheidend. Du brauchst Raumorientierung und Körperbeherrschung. Man muss das Spiel verstehen. Ein sehender Fußballer begreift das Geschehen visuell. Indem ich das Rasseln des Balls sowie die Ansagen meines Torwarts, des Trainers an der Seitenlinie und des Hintertor-Guides zu einem Klangbild zusammensetze, verstehe ich den Fußball auditiv. Das nimmt sich nicht viel. Wir Blindenfußballer setzen halt nur andere Sinne ein.

Im entscheidenden Spiel um die Deutsche Meisterschaft gegen Borussia Dortmund schoss ich das einzige Tor. Es entwickelte sich ein hochklassiges Spiel, das Publikum auf den voll besetzten Stahltribünen war hörbar begeistert, aber nur in den Spielunterbrechungen. Während der Ball rollt, muss es beim Blindenfußball mucksmäuschenstill sein.

 

Der Jubel beseitigte alle Zweifel

In der Schlussminute der ersten Halbzeit startete ich einen Sprint aus unserer eigenen Hälfte. Als ich knapp zehn Meter vom Dortmunder Tor entfernt war, rief unser Hintertorguide »Links vorbei«. Ich hätte sonst den geraden Weg genommen, wäre in die beiden Verteidiger reingerannt. Ich wusste, dass ich viel Tempo draufhatte und mich niemand von hinten kriegen würde. Und als dann unser Guide »Links vorbei« rief, konnte ich das umsetzen. Ich wusste, dass ich nach dem Schlenker zentral vorm Tor war, so etwa acht Meter entfernt. Den Ball habe ich dann gut getroffen, ein bisschen Glück ist da auch dabei. Als ich das Netz hörte, dachte ich: Hoffentlich nicht das Außennetz. Aber als dann die Tribüne jubelte, wusste ich, du hast es vollbracht. Schöner geht es nicht.

Als Fan gehe ich manchmal zu Eintracht Frankfurt ins Stadion, dann versuche ich, die Atmosphäre aufzusaugen. Für die Spieler auf dem Platz muss es großartig sein, die Faszination und Energie von Zehntausenden Fans zu spüren. Wie Thomas Müller aussieht? Mittelgroß, sehr dürr. Mats Hummels ist größer, breitschultriger. Jamal Musiala ist ein Sprintertyp, ähnlich groß wie Müller. Ich mache mir ein Bild, natürlich. Hautfarbe hat in meiner Welt keine Bedeutung. Mein Rasen ist nicht grün, aber ich spüre die Textur und jede Unebenheit.

 

»Mein Rasen ist nicht grün, aber ich spüre die Textur und jede Unebenheit.«

Ali Can Pektas

 

Die denkbar größte Erfüllung

In meiner Jugend gab es Phasen, da ging es mir nicht so gut. Heute weiß ich, dass jeder Mensch sein Leben lebt. Ich habe viele Momente erlebt, die sonst nur privilegierten Menschen zustehen. Und als sehender Fußballer wäre ich wahrscheinlich nie Nationalspieler geworden.

Wenn ich mein Erleben beim Fußball in einem Wort ausdrücken soll, dann ist das »Freiheit«. Auf dem Feld gibt es für mich keine Hürden und keine Hindernisse. Wie jeder Kreisliga-Fußballer oder von mir aus auch Nationalspieler, spiele ich einfach nur Fußball. Und dass ich meinen Sport auf allerhöchstem Niveau umsetzen kann, ist pures Glück. Eine größere Erfüllung kann es doch gar nicht geben.