Den Perspektivwechsel müssen Sie auch in der Politik praktizieren. Sie sind die erste Frau für Integration im Land. Sie stehen oft ganz vorne, auch wenn es um polarisierende Fragen geht. Wie schwer ist diese Aufgabe? Widmann-Mauz: Politik ist keine Schön- wetterangelegenheit – ebenso wenig wie Profifußball! Gleichwohl ist es immer bereichernd, für Menschen etwas bewegen zu können und mich für das gute Zusammenleben starkzumachen. Integration ist fraglos eine der größten Aufgaben, vor denen unser Land steht. Und Integration betrifft eine enorme Bandbreite an Themen und nahezu alle Gesellschaftsbereiche. Denn das Zusammenleben spielt sich in der Fami- lie ab, in der Kita, in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft oder auch im Verein. Besorgt Sie die Polarisierung in der Gesellschaft und wie scharf der Ton gerade bei Ihrem Themenfeld manch- mal wird? Widmann-Mauz: Die große Kluft zwi- schen den Erfahrungen, die Menschen im persönlichen Umgang mit Einwan- derern machen, und der vermittelten Realität, auf die wir etwa in den sozia- len Medien stoßen, ist zum Teil erschre- ckend. Gerade in den sozialen Medien herrscht ein rauer Ton im Themenfeld Migration. Dort trifft man auf Vorurteile, falsche Behauptungen und zum Teil bewusste Hetze. Wenn Menschen unter- schiedlicher Herkunft sich real begeg- nen, erleben sie auch die Stärken des anderen. Es gehört zu meinen Aufga- ben, dieser Kluft zwischen erlebter und vermittelter Realität etwas entgegen- zusetzen. Ohne dabei Probleme auszu- sparen, müssen wir die vielen positiven Geschichten noch sichtbarer machen. Vita Annette Widmann-Mauz Annette Widmann-Mauz, Kuratoriumsmitglied der DFB-Stiftung Egidius Braun und CDU-Präsi- diums mitglied, ist seit dem 14. März 2018 Staats- ministerin für Migration, Flüchtlinge und Inte- gration. 1966 in Tübingen geboren, wuchs sie im nahe gelegenen Balingen auf, wo sie bis heute mit ihrem Ehemann lebt. 1984 trat sie der Jun- gen Union bei. 1998 wurde sie erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt. Sie haben unlängst der DFB-Stiftung Ihr Okay gegeben, „2:0 für ein Der Fußball ist ein Bereich, in dem man zusammen spielt oder zusammen im Stadion mitfiebert. Und gerade im Fuß- ball können wir erleben, wie wertvoll Vielfalt sein kann. Die unterschiedli- chen Talente nutzen der Mannschaft genauso wie insgesamt unserer Volks- wirtschaft und Gesellschaft. Muslimische Mädchen schneiden bei Bildungsstudien immer wieder sehr positiv ab, geflüchtete Menschen schaffen immer häufiger den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt, einer der besten deutschen Filmregisseure ist Hamburger mit türkischer Herkunft. Es gäbe genügend der von Ihnen ange- sprochenen positiven Geschichten. Und dennoch scheint es fast Konsens zu sein, dass es mit der Integration nicht so richtig läuft. Wie erklären Sie sich diese fast schon paradoxe Situa- tion? Widmann-Mauz: Aktuelle Studien – etwa des Sachverständigenrates oder der OECD – zeigen, dass die Stimmung immer dort, wo das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Her- kunft persönlich erlebt wird, um ein Vielfaches besser ist. Die digitale Kommunikation – denken Sie an Fake News – trägt auf der anderen Seite zur Polarisierung bei. Gerade in Zeiten, in denen Populisten versuchen, mit Sorgen und Ängsten Stimmung zu machen, ist es umso wichtiger, klar Position zu beziehen und den gesell- schaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Integration bietet enorme Chancen, aber es gibt auch Probleme, die wir nicht wegdiskutieren dürfen. Schon in der Aufnahmeeinrichtung müssen wir klar vermitteln, für welche Werte wir in Deutschland einstehen. Und wir müssen die Potenziale der zu uns gekommenen Menschen erkennen und fördern. Bildung und Ausbildung, genauso wie das gute Zusammenleben in der Zivilgesellschaft, etwa im Ehrenamt oder auf dem Sportplatz – das alles ist enorm wichtig. Willkommen“ um ein weiteres Jahr zu verlängern. Was gab für Sie den Aus- schlag, die Initiative auch 2019 gemeinsam mit der Stiftung zu finan- zieren? Widmann-Mauz: Mich hat der große Rücklauf überzeugt. Bis heute nehmen über 3.600 Vereine daran teil. Für viele Flüchtlinge war und ist es die Chance, in unserer Gesellschaft anzukommen. Fußball bringt Menschen über alle Unterschiede hinweg zusammen, er kann so den gesellschaftlichen Zusam- menhalt stärken. Er fördert die Begeg- nung, schafft Verständigung und baut so auch wechselseitige Vorurteile ab. Was Vereine für soziale Integration in Deutschland schon immer geleistet haben, können wir nun für Flüchtlinge leisten. Das ist enorm. Dass wir jetzt die Kooperation verlängern, hat auch viel damit zu tun, dass die Egidius-Braun-Stif- tung und der DFB erkannt haben, dass es jetzt, drei Jahre nach dem Höhepunkt des Flüchtlingszuzugs, nicht mehr nur darum geht, den Menschen eine Gele- genheit zum Mitspielen anzubieten. Sondern dass Vereine und Verbände ihre Partnernetzwerke aktivieren und etwa bei der Suche nach einer Beschäf- tigung unterstützen. Oft erreichen wir bei Sprachschulungen nicht nur einen Menschen, sondern die gesamte Fami- lie. Und auch die Vereine profitieren, weil Flüchtlinge etwa als Trainer ihr Talent im Ehrenamt einbringen können. Ein wesentlicher Schritt sind auch die Job- und Ausbildungsmessen, die wir als Teil der Initiative oft gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit durchfüh- ren. 2019 geht es nicht mehr ums Ankommen, sondern um Teilhabe. Des- halb aus voller Überzeugung mein Ja zu „2:0 für ein Willkommen“. Sie selbst haben schon Vereine besucht, die bei „2:0 für ein Willkom- men“ mitmachen? Widmann-Mauz: Ja, etwa beim SV Rot- Weiss Viktoria Mitte 08 in Berlin, dort war ich mit der Kanzlerin. Der Verein ist sehr aktiv beim Mädchenfußball. Das war eine tolle Erfahrung. Und das sind echte Leuchttürme der Integrationsar- beit. Mich freut die Wirkung von „2:0 für ein Willkommen“ in den Breitensport. Die große Anzahl beteiligter Vereine spricht ja für sich.