IM DIENST VON FRIEDEN UND BILDUNG
Ein Torpfosten ist zwölf Zentimeter breit, und hätte Michael Kutzop damals am 33. Spieltag in der 88. Minute des Spiels gegen den FC Bayern München also zwölf Zentimeter weiter links getroffen, wäre Werder schon 1986 Deutscher Meister geworden.
So wurden es zwei Titel in sechs Jahren. In heutigen Zeiten, da die Bayern gerade die zehnte Meisterschaft in Folge verbucht haben, klingt Werders Bilanz nach Fake News. Nach Märchenstunde, nach „kann ja gar nicht sein“-Rubrik. Dortmunds (oder Leverkusens oder Leipzigs) Verantwortliche schaffen es wahrscheinlich auch in ihren kühnsten Träumen nicht, auch nur einmal den Titel zu gewinnen. Geschweige denn zwei in sechs Jahren.
Willi Lemke drückt es so aus: „Kaum ein Kind, das eingeschult wird, weiß heute noch, wer vor den Bayern Deutscher Meister wurde.“ Kurze Geschichtsstunde: Es war Borussia Dortmund. Was also, Herr Lemke, machte Werder Bremen in den Achtzigerjahren so extrem richtig?
„Ich bin schon sehr lange raus aus dem operativen Bundesliga-Geschäft“, antwortet er erst mal zurückhaltend. Dann aber verrät er doch ein paar „Dos and Don’ts“ auf der Jagd nach der Schale.
„Erst mal musst du die Finanzen sehr gut im Griff haben. Wenn man das gegen die Wand fährt, wie das zuweilen Klubs in der Bundesliga passiert, kann man Totalschaden erleiden. Zweitens musst du eine richtige Mannschaft formen. Holst du dagegen mehrheitlich Spieler, deren Hauptmotivation es ist, in kürzester Zeit sehr viel Geld einzusacken, wird es auch schwer.“
Mit Otto Rehhagel hatte er einen starken Trainer („Otto und Thomas Schaaf, beide waren absolute Respektspersonen“) an seiner Seite und mit Franz Böhmert „den besten Präsidenten“. Noch bis 2016 wirkte er mit in Werders Aufsichtsrat. Vor sechs Jahren kam die Anfrage, ob er dem Kuratorium der DFB-Stiftung Egidius Braun beitreten wolle. „Die Berufung in ein Gremium des DFB ist immer etwas, worüber man sehr erfreut ist“, sagt Lemke. „Ich habe das als Ehre empfunden und versuche seitdem, meine Kontakte einzubringen.“
Allein die Namen erzählen die Geschichte der Bremer Titelgewinne. Rune Bratseth, Uli Borowka, Johnny Otten, Mirko Votava, Rudi Völler – um nur einige zu nennen.
Lemke: „Rudi holten wir 1982 aus der 2. Bundesliga von 1860 München, er erwies sich als Volltreffer für uns.“ Bevor er 1987 zum AS Rom wechselte, erzielte Völler in 137 Pflichtspielen 97 Tore für die Bremer. Ein ähnlicher Glücksgriff war der Norweger Rune Bratseth. Beim Probetraining blieb Bratseth blass, war bereits 25 Jahre alt und hatte bis zum 22. Lebensjahr nur in Norwegens vierthöchster Liga gespielt. Doch Rehhagel entschied sich für den Trondheimer, der von 1986 bis 1995 auf der Libero-Position dominieren sollte.
Dass Werder so lange erfolgreich Widerstand leisten konnte, hatte auch mit einem mörderischen Arbeitseinsatz zu tun. Seine Woche begann Montagfrüh und endete sonntags gegen Mittag nach einem Telefonat mit den Agenturen. Böhmert hatte ihm den Mittwoch als freien Tag angeboten. „Das habe ich in den mehr als zwanzig Jahren einmal gemacht.“ Nach einigen Jahren im Bremer Senat berief ihn UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zum UN-Sonderberater für Sport im Dienste von Frieden und Entwicklung, eine Verantwortung, die er bis 2016 mit großem Engagement schulterte. Der Krieg in der Ukraine belastet ihn sehr, zumal er Mitte der Neunzigerjahre den „Beckham der Ukraine“ Victor Skripnik, der zuletzt als Trainer bei Sorja Luhansk arbeitete, an die Weser geholt hatte. In Luhansk wird schon lange nicht mehr Fußball gespielt.
Lemke selbst war in jungen Jahren ein herausragender Leichtathlet mit der 100-Meter-Bestzeit von 10,7 Sekunden. Inzwischen lässt er es langsamer angehen. „Im Auftrag der Stiftung habe ich zuletzt bei Integrations-Projekten und etwa bei den Fußball-Ferien-Freizeiten mitgewirkt. Diese Termine bereiten mir eine große Freude.“
Und die DFB-Stiftung Egidius Braun ist stolz, Willi Lemke als Förderer und Ratgeber im Kuratorium zu wissen.