„WIR ALLE HABEN IHM ZU DANKEN“
Seine Werte sind sein größtes Vermächtnis: DFB-Ehrenpräsident Egidius Braun ist im Alter von 97 Jahren gestorben. Tobias Wrzesinski, Geschäftsführer der nach Braun benannten DFB-Stiftung, und sein Vorgänger Wolfgang Watzke erinnern sich an einen Menschen, für den Fußball immer viel mehr war als ein Spiel um Tore und Punkte.
Der 16. März 2022 war ein trauriger Tag für den Fußball in Deutschland und Europa. Um 7.11 Uhr erreichte uns die Nachricht, dass Egidius Braun wenige Stunden zuvor friedlich eingeschlafen ist. Mit diesem Moment ist unsere Stiftungswelt eine andere geworden: Der Vorsitzende und Namensgeber lebt nicht mehr. Der Mann, in dessen Namen und in dessen Sinne wir wirken dürfen, hat uns für immer verlassen. Ein Einschnitt, eine Zäsur. Ein neuer Auftrag für die Stiftung: Seit dem 16. März 2022 geht es darum, das Lebenswerk des achten Präsidenten in der mittlerweile 122-
jährigen Geschichte des DFB zu bewahren und sein Vermächtnis fortzuführen.
Egidius Braun war eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Ein großer DFB-Präsident. Ein Vorbild für alle Fußballer*innen in unserem Land. Er erkannte früh die gesellschaftspolitische Bedeutung unseres Sports und hat sich nach Kräften für diejenigen eingesetzt, die Hilfe und Unterstützung benötigen. Dabei trieb ihn insbesondere die Sorge um in Not geratene Kinder und Jugendliche in Deutschland, Europa und der Welt. Unsere Hilfsprojekte in Mexiko und der Ukraine zeugen davon. Als Schatzmeister der UEFA engagierte sich Egidius Braun nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion für die damals neu entstandenen Staaten und ihre Fußball-Nationalverbände. Mit der Errichtung der DFB-Stiftung Egidius Braun im Jahr 2001 wurde dieses Engagement in der Stiftungssatzung manifestiert. Gerade in diesen Tagen größter Not sind wir an der Seite unserer ukrainischen Freund*innen und bemühen uns, sie im Rahmen unserer Möglichkeiten zu unterstützen.
Persönlich habe ich viele schöne Erinnerungen, die ich mit Egidius Braun und seiner lieben Frau Marianne, die ihn in fast 70 Ehejahren begleitete, verbinde. Die erste Erinnerung liegt bereits 28 Jahre zurück: 1994 wollte ich als elfjähriger Fußball-Fan bei einem Ferienaufenthalt in Aachen unbedingt sehen, wo der DFB-Präsident zu Hause ist. Drei befreundete Jungs fuhren also mit den Fahrrädern zur Kaiser-Friedrich-Allee und näherten sich ehrfürchtig Haus Nummer 13. Damals hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dieses Haus einmal betreten, Egidius Braun persönlich kennenlernen oder gar für ihn arbeiten zu dürfen.
Etwa 2011 war ich mit meinem Vorgänger Wolfgang Watzke dann erstmals in der Kaiser-Friedrich-Allee zu Gast. Ich war sehr aufgeregt. Egidius Braun hat sich voller Herzlichkeit, Interesse und Zugewandtheit viel Zeit für mich genommen, mich durch das beeindruckende Haus geführt und mir seine Schätze im „Fußballkeller“ gezeigt. Zu jedem Geschenk, jedem Bild und jeder Urkunde hatte er eine Geschichte. Es war großartig. Heute umgeben uns diese besonderen Schätze in der Geschäftsstelle der Stiftung in Hennef. Ich erinnere mich gerne an die Geschichten, die damit verbunden sind und bleiben werden.
Auch bei späteren Besuchen hat er mich stets als Erstes durch die Räumlichkeiten geführt: zur Bar, in den Anbau, an den Schreibtisch, ans Klavier, zur Musiksammlung. „Musik, Musik, Musik“, „mein Leben“, „mein Name“, „du musst das machen“ – das waren seine Worte, die ich noch heute im Ohr habe. Auch seine obligatorische Frage nach den Stiftungsfinanzen – inklusive der Frage, ob ich denn persönlich zufrieden sei und es mir gut gehe – und die zum Thema Finanzen passende (legendäre) Geste mit dem Aneinanderreiben von Daumen und Zeigefinger der rechten Hand habe ich in präsenter Erinnerung. Während der Führung war Marianne Braun immer sehr mit Kuchen (mit Sahne) um mich besorgt und ermunterte ihren „Egi“, mich doch (endlich) etwas essen zu lassen.
Im Juni 2020 durfte ich Egidius Braun wenige Tage nach dem Tod seiner Frau auf den Aachener Waldfriedhof begleiten. Der tiefe Schmerz über den Verlust seiner Marianne war greifbar. Am 25. März 2022 wurde Egidius Braun an gleicher Stelle im engsten Kreis beigesetzt.
Es ist mein persönliches Privileg, dass ich seit dem 1. April 2017 die Ehre habe, als Geschäftsführer für die Egidius Braun gewidmete DFB-Stiftung tätig sein zu dürfen. Sein Lebenswerk, das ganz eng mit seiner Frau verbunden ist, wird in unserer Stiftung lebendig bleiben. Dafür werden wir uns mit allen engagierten Menschen in den Gremien, mit der Unterstützung der Familie, seines persönlichen Vertreters Alfred Vianden und dem Team der Geschäftsstelle jeden Tag nach Kräften einsetzen.
Am Ende meiner Besuche hat Egidius Braun oft gesagt: „Vielen Dank, auf Wiedersehen.“ Wir alle haben ihm zu danken für das, was er für den Fußball und Kinder in Not in Deutschland, Europa und der Welt getan hat. Fußball war, ist und bleibt mehr als ein 1:0!
Tobias Wrzesinski
Ein Weg ist vollendet. Seit 1980 war ich an der Seite von Egidius Braun. In den Anfangsjahren traf ich auf einen Menschen, der sich empörte über den gesellschaftlichen Umgang mit den Gastarbeitern, wie es damals hieß, und ihre Reduzierung auf ihren Wert als Arbeitskraft. Er legte ein Programm zur Stärkung und Integration auf, um zumindest für die fußballinteressierten neuen Mitbürger ein wertschätzendes, gleichberechtigtes Angebot zu machen.
In der Phase hoher Jugendarbeitslosigkeit litt er unter der Ohnmacht, jungen Menschen keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz anbieten zu können. Entsetzt war er über den Brandanschlag auf ein Heim für Ausländer in Solingen. Tränen in den Augen hatte er, als er die Not der Kleinkinder in einem Waisenhaus im mexikanischen Querétaro erleben musste. Ungeduldig reagierte Egidius Braun auf das zögerliche Handeln von Gesellschaft und Politik beim Vollzug der Wiedervereinigung Deutschlands. Große Freude und Solidarität hatte er am Aufbau der osteuropäischen Fußballverbände nach dem Ende der Sowjetunion, sah aber auch die begrenzten Möglichkeiten der neuen Verbände.
Dabei zeichnete ihn stets, neben einer kritischen Analyse, der Wille zu entschlossenem Handeln aus, mit unmittelbaren Folgen: Kostenlose Lehrgänge in Hennef wurden erfunden, um junge Arbeitslose zu motivieren und ihnen das Erlebnis Sport – nicht nur Fußball – nahezubringen, Selbstbewusstsein zu tanken. Die Bundesliga, die Nationalmannschaft und internationale Spieler wurden aktiviert. Unter dem Motto: „Mein Freund ist Ausländer“ gab es ein Freundschaftsspiel – die Geburtsstunde der Benefiz-Länderspiele. Aus den Mexiko-Erlebnissen entstand mit der Mexico-Hilfe eine Hilfsaktion ganz besonderer, unmittelbarer Prägung. Mit dem Satz: „Sie sind mein Jugendsekretär, kümmern Sie sich“, veränderte Egidius Braun mein Leben. Bis heute.
Unter „Seitenwechsel“ wurde ein gegenseitiger Besuch von Jugendmannschaften aus Ost und West organisiert, in Zusammenarbeit mit der Bundesministerin für Familie und Jugend, Dr. Angela Merkel, die Egidius Braun bis zu seinem Tod freundschaftlich verbunden war.
UEFA und DFB wurden von Egidius Braun gleichermaßen eingespannt, um den neuen Verbänden Osteuropas nicht nur finanziell unter die Arme zu greifen. Zahlreiche soziale Projekte – in der Ukraine ist gerade eines den Bomben zum Opfer gefallen – begleiteten den Prozess.
Egidius Braun machte einfach, motivierte andere, besonders seine Nationalspieler. Aus all den vielen einzelnen Aktivitäten entwickelte sich fast heimlich seine Auffassung „Wir müssen Fußball überall da einsetzen, wo er für die Gesellschaft etwas bewegen kann“, seine tiefste Überzeugung, zur immer allgemeineren Maxime.
Ideen hin. Ideen her. Alles wäre nicht in Gang gekommen, wenn Egidius Braun nicht auch ein Machtmensch gewesen wäre. Oft ging es ihm nicht schnell genug oder die Zuarbeit war ihm nicht gut genug. Mancher wollte auch nicht so wie er. Da konnte er schon mehr als heftig werden. Generalsekretär, Pressechef, persönlicher Referent, Sekretärin, Dolmetscher – niemand wurde ausgelassen. Da endete schon einmal ein internes Begleitschreiben an ihn „Mit noch ziemlich freundlichen Grüßen“.
Ich hatte damals Mühe, ein solches Verhalten zu akzeptieren. Es hat mich lange befremdet, bis ich später erleben musste, wie seine Nachfolger sich anders verhielten und auch dadurch in Schwierigkeiten gerieten. Aber was Egidius Braun auszeichnete: Er verstand derartige Anspielungen nicht nur, sondern nahm den Hörer in die Hand und dann ging es weiter.
Hinter diesem bisweilen eckigen Verhalten stand nämlich etwas ganz Grundsätzliches: Egidius Braun hat die Verantwortung seiner Position immer getrieben, sein Mandat immer verstanden als Mandat der Vereine bzw. der Landesverbände. Diese Kraft des Mandats musste gestützt werden von einer durch Vertrag gebundenen Hauptamtlichkeit, die unterstützen musste, durchaus auch kritisch, aber uneingeschränkt loyal. Anders geht es nicht.
Aus alledem wird aber auch deutlich, wie stark die ganze Bewegung von einer einzigen Person abhängig war. Die Sorge war spätestens 2000 nach seiner Erkrankung da: „Was bleibt, wenn ich nicht mehr dabei bin?“ Die Antwort konnte Egidius Braun nicht mehr alleine geben. Und gleichgültig, was später gut oder schlecht war: Es war Dr. Theo Zwanziger, der die Satzungsänderungen vorantrieb, die Benefizspiele etablierte und in der DFB-Stiftung Egidius Braun viele einzelne Aktivitäten nachhaltig bündelte.
An der Gründung der Stiftung mitwirken zu dürfen und mit dem Vertrauen von Egidius Braun mit der Geschäftsführung betraut worden zu sein, war die große Anerkennung und der größte Ansporn in meinem Berufsleben. Jetzt musste ich nicht nur an Egidius Brauns Seite handeln, sondern bisweilen auch an seiner Stelle.
Das alles war nicht immer leicht, mir aber immer eine Ehre und oft eine Lehre. Kritikern zuzuhören, nachzudenken und diese auch zu Beratern zu machen, das war Egidius Braun. Immer Spielräume zu geben zum Gestalten, unbekümmert ein Problem ansprechen, das war mit Egidius Braun möglich – es waren die kreativsten Stunden meines Berufslebens, meines Lebens. Ich hatte so immer das Gefühl, mit ihm an etwas Wichtigem zu arbeiten.
Als ich im Sommer 2016 mit Egidius Braun über die Zukunft der Stiftung und meine 2017 anstehende Pensionierung sprach, verabschiedete er mich mit den Worten: „Wenn Sie weg sind, dann musst du bleiben.“ Geblieben bin ich, bis ich an seinem Sterbebett von einem sehr beachtlichen Menschen Abschied nahm. Bleiben werde ich weiter bei seinen Gedanken, bei seinem Denken. Darin weiß ich mich nicht alleine. Es reicht schon ein Blick auf die spontanen Reaktionen des kleinen und großen Fußballs auf die Flutkatastrophe an der Ahr und auf den Krieg in der Ukraine. Dass das bis heute selbstverständlich geworden ist, ist Egidius Brauns Verdienst und Vermächtnis an uns alle: „Fußball, mehr als ein 1:0.“
Und die Zukunft? Die Besetzung des neuen DFB-Präsidiums eröffnet die Chance für neue Vielfalt, Nachhaltigkeit und Innovation. „Egidius Braun hat das soziale Engagement fest in der DNA und der Satzung unseres Verbandes verankert“ betont der neue DFB-Präsident Bernd Neuendorf. Ich bin zuversichtlich, dass eben diese DNA unter seiner Führung auch das Handeln der einzelnen Menschen bestimmt. Das ist die Hoffnung. Das wäre genau das, was Egidius Braun sich immer gewünscht hat.
Lieber Egidius Braun, hier ende ich mit einer Schlussformel, die wir beide ab und zu für vertraute Freunde benutzt haben: In alter Verbundenheit,
Wolfgang Watzke