Leben len, man lud ihn zum Probetraining ein. Am 11. September 2001, als in New York zwei Passagiermaschinen in die Twin Towers donnerten, stand sein Wechsel in die Regionalliga fest. Am 15. September erlebte Czyz seine persönliche Katastro- phe. So beschreibt er die Vorfälle selbst: „Es ist mein letztes Spiel für meinen bis- herigen Verein, den VfR Grünstadt. Wir spielten gegen Niederauerbach. Es pas- sierte kurz nach der Pause. Ich bekomme einen langen Ball gespielt, renne hinterher in den Strafraum. Als ich merke, dass der Torwart schneller ist, versuche ich über ihn zu springen – aber er lässt mich nicht. Er trifft mich mit seinem gestreckten Bein direkt und mit voller Wucht am Knie.“ Es ist 15.45 Uhr. Czyz hat keinen Fußpuls mehr, doch erst im Grünstadter Kranken- haus wird ein Kompartmentsyndrom diag- nostiziert, was bedeutet, dass das Bein unterhalb des Knies nicht mehr mit Blut versorgt wird. Innerhalb von sechs Stunden muss operiert werden, doch nach einer Irrfahrt von Grünstadt nach Kaiserslautern nach Homburg ist es 1 Uhr nachts, bis Wojtek Czyz auf dem OP-Tisch liegt. Er verliert sein linkes Bein. „Etwas zurückzahlen“ Das grob unsportliche Verhalten des Geg- ners, die vermeidbare Amputation – alles abgehakt. „Ich schaue nach vorne. Bei mir wurden Fehler gemacht, diese Fehler wurden auch anerkannt“, sagt er heute. Und mit Blick auf seine einzigartige Laufbahn bilan- ziert er: „Für mich ist es toll gelaufen“. Nach einem schweren Anfang, wie er sich erinnert. „Man liegt da im Bett, malt sich Ziele aus, die aber gar nicht finanzierbar sind, weil die Krankenkassen eben keine Sportpro- thesen finanzieren. Doch die Herberger- Stiftung hat sehr schnell und umkompliziert reagiert und mich unterstützt. Meinen festen Willen, der Stiftung für ihre Hilfe etwas zurückzuzahlen, habe ich dann in den täg- lichen Trainingseifer kanalisiert.“ Mit großem Erfolg. Keine drei Jahre nach Grünstadt holte Czyz in Athen dreimal Gold für Deutschland. Im Fußball früher stand er kurz vor der Regionalliga. Als beinam- putierter Leichtathlet gehörte er ab 2004 zur Weltklasse. Seine Bestwerte sind Fabel- marken: Er läuft die 100 Meter in 12,26 Sekunden, die 200 Meter in 25,75 Sekun- den und beim Weitsprung katapultiert er sich 6,50 Meter durch die Luft. „Immer Vollgas“ Sein Trainingseifer ist legendär, „ich gebe immer Vollgas“, sagt er. Er ist ein Beses- sener, ihn treibt die eigene Bewegungsfä- higkeit zu Höchstleistungen. Nach der Amputation, erinnert er sich, „habe ich ein halbes Jahr nur rumgesessen, bin immer wieder nur den Gang hoch- und runtergehumpelt. Als ich endlich wieder auf einem Sportplatz rennen konnte, war das wie eine Befreiung.“ Das motiviert ihn bis heute. Dabei nimmt er wenig Rücksicht auf sich und die Prothese. „Verschleiß?“, antwortet er, „na klar. Es gibt diejenigen, die pfleglich mit dem Zeug umgehen, und es gibt andere. Ich habe eher eine mate- rialfeindliche Einstellung“. Drei Prothesen im Schnitt pro Jahr braucht er schon. Ab und zu erreicht Wojtek Czyz über die Homepage dann die Mail eines Jungen. „Dann gehe ich ins Krankenhaus und dann liegt der Kleine da, das Bein wurde gerade amputiert, wegen eines Unfalls oder aus einem anderen Grund, und dann muss ich gar nicht viel sagen. Für den Kleinen bin ich ein Vorbild, ich bin der Beweis, dass er trotzdem erfolgreich sein, im Mittelpunkt stehen, ein bisschen ein Held sein kann. Und plötzlich strahlt der Junge.“ Gemeinsam nach London Im September bei den Paralympics von London will Wojtek Czyz seinen letzten großen Lauf machen. „Ich fahre nach Lon- don“, sagt er immer noch ehrgeizig, „um Bestleistungen zu erzielen.“ Leon Schäfer wird Wojtek Czyz begleiten, der junge Leichtathlet wurde vom Deutschen Behin- dertensportverband gemeinsam mit 31 anderen behinderten Sportlern zu einem Jugendcamp eingeladen. Für Wojtek Czyz wird es der letzte große Wettkampf seiner einzigartigen Karriere sein, für Leon Schä- fer – auch wenn er noch nicht selbst an den Start geht – der erste. Als Wegbereiter an ihrer Seite stand und steht die Sepp- Herberger-Stiftung. Stichwort: „DFB-Sozialwerk“ Es war der ausdrückliche Wunsch von Sepp und Eva Herberger, dass ihr Privatver- mögen in Not geratenen „Fußballern“ zugutekommt. „Der Ertrag des in die Sepp- Herberger-Stiftung eingebrachten Nachlasses ist vom übrigen Vermögen der Stiftung getrennt zu verwalten und soll mit Vorrang verwendet werden zur Unter- stützung schuldlos in Not oder wirtschaftliche Bedrängnis geratener Spieler und deren Familien“, so haben es die Eheleute in ihrem Testament verfügt. Mit dem DFB-Sozialwerk wird bis heute bei schweren Schicksalsschlägen geholfen. Meist auf Hinweis der DFB-Landesverbände oder von Fußballvereinen. Unterstützt werden beispielsweise verunfallte Sportler oder Hinterbliebene bei Todesfällen.