der Ungarn 1953 in Wembley wurde orga- nisiert, damals ein echtes Kunststück, und den Spielern vorgeführt. Am Spieltag inspizierte Herberger schon morgens den Rasen und ließ sich sogar von einem klei- nen Autounfall nicht davon abbringen: Er nahm einen anderen Wagen und fuhr schon Stunden vor dem Anpfiff ins Wankdorf- Stadion. Außerdem setzte er buchstäblich auf die Wetter-Karte und hoffte auf Regen, auf Fritz-Walter-Wetter. Für den anderen Fall hatte er bereits ernsthaft erwogen, den Rasen sprengen zu lassen. Doch nach seinem Anruf bei der Wetterwarte, die „Dauerregen im Gebiet Südbaden und der Schweiz“ verhieß, nahm er davon Abstand. Ein Spiel dauert 90 Minuten Als der große Tag des Finales kam, kam auch der Regen, wenngleich mit Verzögerung. Morgens um neun klopfte Werner Liebrich noch aufrichtig besorgt an Zimmertür 303 im Hotel Belvedere und stellte im Pfälzer Idiom fest: „Na Friedrich, was meensche jetzt? Gucke mol, de Planet, wie er sticht.“ Sein Kapitän antwortete: „Kleiner, es ist ja noch früh. Das Wetter wird schon nach Wunsch.“ Er sollte Recht bekommen. Als Erster merkte es Max Morlock, beim Mittagessen. Die kom- menden Weltmeister saßen gerade über ihren Brathähnchen, wie vor allen Spielen, als der Nürnberger ausrief: „Friedrich, es regnet!“ So wurde es von Fritz Walter in seinem Buch „3:2“ festgehalten, wir müssen es also unbedingt glauben. Er stürzte sofort auf die Veranda und genoss das Schauspiel. „Jetzt ist alles klar, nichts kann mehr schiefgehen.“ Danach sah es zunächst nicht aus, trotz Dauerregens lag Deutschland schon nach acht Minuten mit 0:2 zurück, Puskas und Czibor hatten leichtes Spiel bei ihren Treffern. Aber die Deutschen machten sich Mut, noch ein Debakel wollten sie ihren Anhängern unter den 62.471 Zuschauern nicht zumuten. Max Morlock rief: „Das macht nix, das schaf- fen wir noch.“ Und der kleine Bruder munterte den großen auf. Ottmar: „Fritz, nur weiter.“ Und er erinnerte ihn an Herbergers Weisheit, dass ein Spiel 90 Minuten dauerte. Es ging weiter – und wie. Morlock rutschte in einen verzogenen Rahn-Schuss und verkürzte auf 1:2 (10.). Und nach einer Ecke von Fritz Walter stellte Rahn den Gleichstand her (18.) – die Masse war elektrisiert, das WM- Finale wurde spannender als gedacht. In der Halbzeit brodelte es in der deutschen Kabine: Liebrich schimpfte mit den Stürmern, Posipal mit Rahn, Turek mit Kohlmeyer. Herberger brachte sie zum Schweigen: „Jetzt ist aber Ruhe, wir können hier Welt- meister werden, und ihr kriegt euch in die Haare. Jetzt rede ich. Kämpft. Einer für alle, alle für einen. Das war und ist unser Motto. So, und nun raus auf den Platz, ihr wisst, worum es geht!“, heißt es in der Herberger- Biografie von Jürgen Leinemann. Bei den Ungarn hatte der Spielverlauf Spuren hinter- lassen. Trainer Gustav Sebes gab knappe Anweisungen und Lorant pfiff vor lauter Verlegenheit eine Film-Melodie – „Der dritte Mann“ – vor sich hin, ehe ihn Boszik barsch zum Schweigen brachte. „Hör auf damit.“ Als es wieder raus ging, prophezeite DFB-Arzt Dr. Logen Fritz Walter: „Machen Sie sich keinen Kummer, Fritz, wir gewinnen das Spiel 3:2.“ Er sollte Recht bekommen, weil Toni Turek, wie in der Rundfunk-Reportage von Herbert Zimmermann beschrieben, zum „Fußball-Gott“ avancierte und Helmut Rahn in der 84. Minute aus dem Hintergrund schoss. Mit dem Abpfiff von Schiedsrichter Ling war das Wunder Wirklichkeit und Deutschland erstmals Weltmeister. Es war viel mehr als nur ein sportlicher Erfolg für die Menschen im Nachkriegs-Deutschland. Neuzeitliche Historiker bezeichnen das „Wunder von Bern“ als „die eigentliche Gründung der Bundesrepublik“. In jedem Fall darf der Triumph von Bern als erstes freudiges Gemeinschaftserlebnis für die Deutschen nach dem Krieg gelten – übri- gens auch in der DDR. Das Schlagwort jener Tage hieß: „Wir sind wieder wer.“ Innenmi- nister Gerhard Schröder sagte den Spielern: 8 „Ihr Sieg in Bern hat uns ein echtes und reines Gemeinschaftsgefühl geschenkt; es hätte in der gegenwärtigen Zeit kaum aus einem schöneren Anlass geschehen können.“ Entsprechend war der Empfang. Überall, wo der Sonder-Zug am Montag, den 5. Juli, durchkam, waren die Bahnsteige voller Menschen. Am 6. Juli strömten rund eine Million Münchner zusammen, als die Spieler in elf offenen Mercedes-Wagen zum Löwen- bräu-Keller gebracht wurden. Bundespräsi- dent Theodor Heuß verlieh den Weltmeistern, die vom DFB 1.000 D-Mark Prämie und 200 DM pro Einsatz erhielten, am 18. Juli in Berlin den Silbernen Lorbeer – und noch 1977, Herbergers Todes-Jahr, sagte der bayerische Minister-Präsident Franz-Josef Strauß über den Finalsieg: „Millionen Deut- schen hat er das Gefühl gegeben, im Kreis der Nationen wieder anerkannt zu sein.“ Auch das war ein Wunder. Der Chef? Unsterblich! Fakt ist: Keine Fußball-WM hatte in Deutsch- land größeren Nachhall in allen Bevölkerungs- schichten, auch in kultureller Hinsicht. Noch heute wird bei Regen vom Fritz- Walter-Wetter gesprochen und auf vielen deutschen Sportplätzen wird nach Toren Herbert Zimmermanns ekstatischer Jubel nach dem 3:2 eingespielt. Seine Schilderung des Finales ist längst Kulturgut. Das „Wun- der von Bern“ wurde 2003 sogar verfilmt und im Jubiläumsjahr 2004 erschienen allein in Deutschland 19 Bücher rund um die WM 1954. Sepp Herberger hat das nicht mehr erlebt, aber auch er erfuhr Ehrungen und Würdigungen, allen voran das Große Verdienst-Kreuz der BRD (1967). Kurz nachdem er als Bundestrainer 1964 abtrat, wurde sein Leben verfilmt und zu seinem 80. Geburtstag 1977 brachte die Deutsche Post zum dritten Mal eine Sonder- briefmarke für eine Person der Gegenwart heraus. Die anderen hießen Konrad Adenauer und Willy Brandt. Ein paar Tage später starb er. Unsterblich ist er dennoch.