Wegen der sich zuspitzenden Kriegslage wurde das Gesuch zunächst trotz der „Ordensverleihungen“ plötzlich abgelehnt, aber nach weiteren Telefonaten und Rück- fragen, die ihm in Berlin schon den Ruf eines „Nervtöters“ einbrachten, kam am Tag vor Weihnachten 1941 die Nachricht, dass die 25 Fußballer schon zwölf Tage vor dem Spiel gegen Kroatien in die Heimat durften. Es blieb kein Einzelfall. Reinhard Schaletzki, dank Herberger nun Träger des Eisernen Kreuzes 1. Klasse, erklärte eidesstattlich: „Als ich im Jahre 1942 durch Herrn Herberger zu einem Kurs aus Russ- land beurlaubt wurde und noch vor Been- digung desselben wieder zur Front abge- stellt werden sollte, hatte ich es nur ihm zu verdanken, dass der Befehl aufgehoben wurde. Nur ihm verdanke ich es auch, dass ich bis 1944 in der Heimat blieb. Ich war nicht der Einzige; vielen Spielern hat er geholfen, in der Heimat zu bleiben.“ Die berühmten „Roten Jäger“ Auch Fritz Walter konnte das bestätigen. Mit seiner Einheit in Sardinien unter Partisanen-Beschuss liegend und schwer erkrankt, wurde er im Dezember 1943 plötzlich an einen deutschen Flieger-Horst abkommandiert – obwohl er niemals Flie- ger war. Doch der hochdekorierte Flieger- Major Hermann Graf sammelte im ostfrie- sischen Jever aus privatem Antrieb gute Fußballer um sich, die berühmten „Roten Jäger“. Einige Nationalspieler wie Hermann Eppenhoff (Schalke) und Franz Hanreiter aus Wien waren schon da. Graf und Her- berger kannten sich, da war es kein Wun- der, dass „der Chef“ alsbald mit einer Bitte an den Major herantrat: „In Italien geht mir eines unserer hoffnungsvollsten Talente vor die Hunde. Fritz Walter. Er hat eine schwere Malaria. Können Sie nicht was für ihn tun?“ Graf konnte, nicht minder listig als Herberger, indem er Walter in Berlin als seinen Vetter ausgab. Schwerer als alles, was seine Fußballer zur Entlastung Herbergers anführten, dürfte die Aussage des Sport-Journalisten Richard Hetzler aus Weinheim gewogen haben. Er berichtete am 19. Juli 1946 von einem Zwischenfall in der „Reichskristall- nacht“ vom 9. November 1938. Herberger und Hetzler saßen demnach in Karlsruhe beim Abendessen, als sie einen Tumult beobachteten. Ein alter Mann, „dem Aus- sehen nach unzweifelhaft ein Jude, (wurde) von einer Meute von Männern misshandelt und vor sich her gestoßen. Herberger … schnellte mit einem Sprung unter diese Leute, um sich für den Schutz und die Befreiung des alten Herrn einzusetzen, wobei er selbst tätlich angegriffen und mit Fußtritten traktiert wurde, sodass er die Flucht ergreifen musste.“ Er sei nur dank seiner schnellen Beine den Schlägern entkommen. Hetzler will beobachtet haben: „Von diesem Zeitpunkt an war Herberger noch ein viel größerer und unversöhnlicher Gegner der Nazis. Aus seiner Einstellung … machte er keinen Hehl, daher bedurfte es auch oftmals einer Warnung, den Bogen nicht zu überspannen.“ Freispruch Klasse 4: Mitläufer Manche zeichneten ein anderes Bild. In der „Badischen Volksstimme“ stand im Sommer 1946 zu lesen, Herberger sei „eine der Größen des Nazi-Sports“ gewesen, „der Spruchkammer in Weinheim möchten wir empfehlen, ein besonders wachsames Auge auf ihn zu haben“. Die Wahrheit ist, dass auch die Nazis nicht verhindern konnten, dass er in ihrer Zeit des Schreckens oft menschliche Größe zeigte. Dass er beruflich auch noch Erfolg hatte und etwa mit der Breslau-Elf eine sagenhafte Siegesserie hinlegte, konnte man ihm nicht ernstlich zur Last legen. Es kam ja auch keiner auf die Idee, ihm das frühe Scheitern bei der WM 1938 im Nachhinein als entlastend anzurechnen. Am 21. September 1946 wurde Sepp Her- berger in die Gruppe der „Mitläufer“ ein- gestuft – wie 54 Prozent aller Deutschen, die sich verantworten mussten. Sein Berufsverbot wurde aufgehoben. Die Spruchkammer Weinheim verhängte einen Sühnebescheid über 500 Reichsmark. Das Urteil ließ er sich am 9. Juni 1947 schriftlich bestätigen. Die Spruchkammer Weinheim führte aus: „Diese Eingruppie- rung erfolgte in erster Linie durch die zahlreichen vorgelegten Erklärungen von Fußball-Nationalspielern sowie anderer Persönlichkeiten, die darin Ihre anti- nazistische Einstellung bestätigten.“ Eine Woche zuvor hatte Herberger bereits eine Anstellung an der Kölner Hochschule für Leibesübungen angetreten, wo er Fußball- Lehrer ausbilden durfte. Vermutlich brauchte er das Dokument dafür. Jackl Streitle: „Der Mensch lag Ihnen stets am Herzen!“ Als der DFB nach seiner Wiedergründung Ende 1949 wieder einen Nationaltrainer 6 brauchte, fiel die Wahl auf Herberger. Doch wie DFB-Vorstandsmitglied Hans Körfer Jahre später enthüllte, beschwerte sich jemand schriftlich beim DFB und führte einige Gegenargumente an, die mit Her- bergers Vergangenheit während des Nationalsozialismus zu tun hatten. Der damalige Spielausschuss-Vorsitzende Arthur Weber arrangierte daraufhin ein Treffen zwischen Ankläger und Angeklag- tem in München, danach war jeder Zweifel verflogen. Körfer, ein langjähriger Beglei- ter Herbergers in DFB-Diensten, schrieb im Juli 1964 im „Sport Magazin“: „Es blieb in der Aussprache, an der alle Männer des damaligen Vorstandes teilnahmen, nicht der geringste Vorwurf an ihm haften.“ Zu Herbergers 60. Geburtstag schrieb Nationalspieler Jackl Streitle 1957 im „Sport Magazin“ ein Grußwort an den Jubilar. In der Überschrift stand: „Im Krieg zeigte sich, dass Ihnen stets auch der Mensch am Herzen lag, Sepp Herberger.“ Viele, die ihn kannten, beschworen das. Die wenigsten leben noch. Umso wichtiger ist es, dass die Wahrheit über diese Zeit von Historikern folgenden Generationen übermittelt wird. Denn die Toten können sich nicht mehr verteidigen.