Herr Dremmler, im Juni vergange- nen Jahres haben Sie in Neuburg an der Donau der Mannschaft der JSA Berlin nach einem spannenden Turnier um den Sepp-Herberger-Pokal zum Titelgewinn gratulieren dürfen. Ist es etwas anderes, Jugendstrafgefangenen einen Pokal zu überreichen als einer Vereinsmannschaft? Selbstverständlich ist die Umgebung mit Stacheldraht, Wachtürmen, Voll zugs beamten und hohen Mauern spe ziell, aber die Situation ist für mich nichts Besonderes. Ich mache kei nen Unterschied zwischen Menschen diesseits und jenseits der Mauern, weil mir bewusst ist, dass die Gefangenen zwar Straftaten begangen haben, aber nicht die eigentlich Schuldigen sind. Wer ist es dann? Schuld sind die Familien der Täter, ihre Eltern, die schlechte Vorbilder sind. Die jugendlichen Straftäter sind letztlich ein Abbild dieser Menschen. Es sind in der Regel nicht die Nachbarn, Freunde oder die Lehrer in der Schule, die den entscheidenden Einfluss ausüben. Wenn es in den Familien nicht stimmt, ist der Weg vorgezeichnet, da kommt ein jun ger Mensch nur schwer gegen an. Wie sind Sie in Kontakt mit der Herberger- Stiftung beziehungsweise dem Thema Resozialisierung gekommen? Schon mit 18 Jahren habe ich erstmals ein Gefängnis besucht. Den Anstoß dazu hat ein guter Bekannter gegeben, der die JVA in Wolfenbüttel leitete. Ich spielte damals schon recht erfolgreich Fußball bei Union Salzgitter und hatte außerdem aufgrund des frühen Todes meines Vaters, der meine Mutter mit sieben Kindern hinterließ, einen be sonderen Lebensweg hinter mir. Ich sollte den Inhaftierten von diesem Weg berichten. In jungen Jahren war ich noch zwei weitere Male auf Besuch hinter Gittern. Das Engagement für die Stiftung kam dann über einen anderen Kontakt erst nach dem Abschluss mei ner Spielerkarriere zustande. Erinnern Sie sich noch daran, wie Sie sich beim ersten Besuch hinter Gittern gefühlt haben? Das war eine beklemmende Situation, als die Türen hinter mir ins Schloss gefallen sind, ich das erste Mal eine Zelle von innen gesehen habe und Mördern und Vergewaltigern gegen überstand. Aber ich hatte ja mit dem Chef der JVA den stärksten Mann an meiner Seite und die Insassen waren allesamt freundlich. Ich glaube, vie les von dem, was ich dort gesehen und wahrgenommen habe, habe ich in meinem jungen Alter ohnehin noch nicht richtig verstanden. Inzwischen engagieren Sie sich seit vielen Jahren für die Sepp-Herberger- Stiftung. Was treibt Sie dabei an? Ich bin der festen Überzeugung, dass ge rade jugendliche Strafgefangene unse re Unterstützung benötigen. Es braucht Leute, die zu ihnen kommen, offen sind und ihre Persönlichkeit einbringen. Ich bin dort nicht als VizeWeltmeister oder einstiger BayernSpieler gefragt, dafür ist diese Zeit auch schon viel zu lange her. Ich werde als Gesprächspartner geschätzt. Und ganz ehrlich, manchmal mache ich diese Besuche auch für mich. Es tut näm lich gut, für einen Funken Hoffnung zu sorgen und zu sehen, wie unwesentlich die eigenen Probleme sind. Warum ist Fußball Ihres Erachtens mehr als ein willkommener Zeitvertreib für die Häftlinge? Weil die jungen Leute beim Fußball Gemeinschaft und Zusammenhalt er leben. Es beeindruckt mich, zu sehen, wie die Jungs aufblühen, wenn sie für den anderen kämpfen und grät schen und Selbstvertrauen schöp fen. Das sind Tugenden, die beim Neuanfang nötig sind. Aber ich mache mir nichts vor: Viele werden wieder straf fällig und landen wieder hinter Gittern. Das kann auch die Arbeit der Stiftung nicht verhindern. Wir können nur kleine Bausteine für einen positi ven Neuanfang bereitstellen. Sie haben mit dem einstigen Bayern- Profi Breno Borges auch schon einen Mann ins Gefängnis gehen sehen, den Sie gut kannten. Was war das für ein Gefühl? Ich habe mir Vorwürfe gemacht und mich gefragt, wer eigentlich mehr ge scheitert ist – er oder ich. Schließlich habe ich ihn nach Deutschland geholt und mich um ihn gekümmert. Ich war gewissermaßen ein kleiner Teil seiner Familie, habe aber nicht bemerkt, dass es ihm schlecht ging. Nachdem er seine Strafe abgesessen hatte, haben wir uns getroffen und er hat mir glücklicherwei se gesagt, dass alles gut ist.