Ihre Geschichte beginnt völlig gegensätzlich, das Ende jedoch ist identisch. Der eine, Omar Oumari, hat einem anderen Menschen das Leben genommen. Mit einem Messerstich, mitten in Berlin. Der andere, Christoph Rickels, ist ein Gewaltopfer, der nach einer brutalen Tat zu 80 Prozent schwerbehindert ist. Die Gemeinsamkeit ist, dass beide den Weg zurück in die Gesellschaft gefunden haben. Im Podcast „Mehr als ein Spiel“ der DFB-Stiftungen haben sie darüber berichtet, wie die Resozialisierung gelungen ist, welche Rolle der Fußball dabei einnimmt und wie sie mit ihrem Schicksal umgehen.
Eines wird in dem Gespräch ganz deutlich: Beiden geht es mit ihrem Engagement um Gewaltprävention. Oumari und Rickels engagieren sich im Dienste von „Anstoß für ein neues Leben“. Die Resozialisierungsinitiative der DFB-Stiftung Sepp Herberger wurde im Herbst 2019 durch die UEFA als Europas bestes Breitensportprojekt ausgezeichnet. Der Fußball soll helfen, den Weg zurück ins Leben zu finden.
Der Täter
„Fußball ist ein Mannschaftssport. Er verbindet Menschen, man findet Freunde, lernt immer wieder neue Leute kennen. Wenn man verliert, dann verliert man zusammen, nicht alleine. Fußball ist mein Leben.“ Das sagt Omar Oumari, der mit einer unüberlegten Tat das Leben eines anderen Menschen ausgelöscht hat. „An jenem Abend haben mich drei, vier oder fünf Leute gleichzeitig angegriffen. Ich habe keinen anderen Ausweg gesehen und in meiner Verzweiflung das Messer gezückt. Ich habe leider zu hoch zugestochen. Es war ein riesiger Fehler, den ich bereue. Es war sehr, sehr schlimm. Ich hatte viele schlaflose Nächte“, sagt Oumari. Fast fünf Jahre hat der 34-Jährige dafür in der Jugendstrafanstalt Berlin verbracht.
Oumari hat danach sein Leben radikal verändert. „Viele haben mir gesagt, dass ich nach meiner Entlassung aus der Haft keine Zukunft mehr habe. Das wollte ich nicht akzeptieren. Meine Tat ist durch nichts zu entschuldigen. Es tut weh, wenn ich daran denke, was ich der Familie und dem Opfer meiner Attacke angetan habe. Aber ich kämpfe um eine zweite Chance“, betont Oumari. Heute ist er ein talentierter Schiedsrichter im Berliner Fußball-Verband – und er trainiert die Inhaftierten-Mannschaft der Jugendstrafanstalt in Plötzensee. Er sagt: „Ich hab‘s geschafft. Ich komme jetzt von draußen freiwillig in den Knast zurück und zeige, wie es anders geht. Man muss auch positiv in die Zukunft schauen.“ Aus dem Täter ist ein Mensch geworden, der mit seinem schlimmen Fehler leben muss, der das Beste daraus machen will.
Das Opfer
„Ich weiß von meinem Leben fast nichts mehr. Das ist alles weg. Ein ganz kurzer Moment hat alles verändert.“ Das sagt Christoph Rickels, der nach einem harmlosen Disko-Flirt von dem eifersüchtigen Freund des Mädchens mit einem Faustschlag niedergestreckt wurde. Im September 2007 war das. Rickels schlug so unglücklich mit dem Kopf auf, dass er vier Monate im Koma lag. Einen Tag vor Heiligabend wachte er wieder auf, es war ein großes Weihnachtswunder. Heute muss er mit einer 80-prozentigen Schwerbehinderung leben. Er musste alles neu lernen: das Reden, das Gehen, das Essen. Rickels hat sich nach dem Unfall mal als sehr groß geratenes Kleinkind beschrieben: „Ich war 20 Jahre alt und lag mit Pampers im Krankenhausbett, verdammt!“ Wie hat er es geschafft, in dieser Situation zurückzukommen? „Ich habe immer daran geglaubt, dass irgendwann alles wieder gut wird. Ich will, dass alles schön wird. Deshalb habe ich immer weitergemacht. Egal, wie schwer es manchmal war“, sagt Rickels. „Wir müssen es schaffen, dass Miteinander cool zu machen. Dann wird der Schläger zum Außenseiter – und niemand will ein Außenseiter sein. Damit erreichen wir eine Bewusstseinsveränderung. Ich finde es super, dass Omar Oumari ebenfalls diese Botschaft verbreitet. Zusammen können wir viel erreichen.“
Rickels ist zu Recht stolz darauf, was er trotz aller Einschränkungen nach dem Unfall geleistet hat: „Ich bin Opfer einer Gewalttat geworden. Aber ich fühle mich nicht als Opfer. Ich bin ein Macher. Was ich erreicht habe, schaffen manche nicht, die gesund sind. Wir sind überall nur noch Konkurrenten. Wir müssen wieder lernen, zusammen gut zu sein.“ Rickels wurde für sein Engagement in der Gewaltprävention mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Bis heute geht er regelmäßig in Haftanstalten, um den Menschen dort seine Geschichte zu erzählen. Es ist Resozialisierung im allerbesten Sinne.
Resozialisierung und die Rolle des Fußballs
Omar Oumari ist inzwischen regelmäßig auf den Berliner Fußballplätzen als Schiedsrichter unterwegs. Er nimmt dann eine Rolle ein, in der er, der verurteilte Straftäter, darauf achtet, dass die Spieler sich an Regeln halten. „Als Fußballer habe ich es leider nicht in die oberen Ligen geschafft. Aber dieser Sport ist mir einfach extrem wichtig. Es ist hervorragend, dass ich jetzt einmal in der Woche eine Begegnung als Schiri leiten kann.“ Und wie geht er mit den Konfliktsituationen um, die zwangsläufig entstehen? „Als Schiedsrichter habe ich Verantwortung. Wenn ein Spieler wütend und schreiend auf mich zugestürmt kommt, dann warte ich ganz entspannt erst mal ab, bis er seine Luft abgelassen hat. Ich habe gelernt, so zu reagieren und nicht auf die Aggressivität einzusteigen.“
Auch Christoph Rickels ist bis heute von dem positiven gesellschaftlichen Wert des Fußballs überzeugt. Schon in seiner Jugend war er Kapitän seiner Mannschaft in seiner Heimat Friesland. Heute kann er nicht mehr spielen. Würde er sein altes Leben gerne zurückhaben? „Natürlich will ich wieder rennen können, das alte Leben körperlich wiederhaben. Aber andererseits sage ich auch, dass ich lieber humple und mein Leben von heute habe. Das, was ich mir aufgebaut habe, und das Bewusstsein zu meinem Leben will ich nicht wieder missen“, sagt er. Für ihn sind Dinge wichtig geworden, die früher keine Bedeutung hatten: „Ich denke an Freundschaften, an die emotionale Bindung zwischen Menschen, die Geborgenheit, dass man sich bei jemandem wohlfühlen kann. Dieses Bewusstsein möchte ich nicht mehr missen. Deshalb will ich nicht wieder zurück. Ich bleibe lieber im Hier und Jetzt.“
Bundesliga-Schiedsrichter Patrick Ittrich über Emotionskontrolle und Beherrschung
In dem Podcast kommt auch der Bundesliga-Schiedsrichter Patrick Ittrich zu Wort. Der 43-Jährige ordnet aus der Sicht eines Unparteiischen Themen wie Emotionskontrolle und Beherrschung ein: „Die Schiedsrichterei hat mich zu der Persönlichkeit gemacht, die ich heute bin. Man lernt Eigenschaften, die man sowohl für das Privat- als auch für das Berufsleben jederzeit nutzen kann. Man muss selbstkritisch sein, man muss schnell Entscheidungen treffen, man muss ehrgeizig sein und man muss über eine ausgeprägte Emotionskontrolle und Beherrschung verfügen.
Als Schiedsrichter muss man mit ganz vielen verschiedenen Charakteren umgehen können und dabei immer die Ruhe bewahren und Souveränität ausstrahlen. All das erlernt man als Schiedsrichter. Das gibt einem keine andere Tätigkeit in dieser komprimierten Form. Deshalb ist es meiner Meinung nach für jeden empfehlenswert, Schiedsrichter zu werden, um genau diese Attribute zu erlernen. Und nebenbei macht es auch noch Spaß, man hat Freude, man kann sich an der frischen Luft bewegen. Es freut mich immer wieder aufs Neue, zu sehen, was die Schiedsrichterei mit mir als Persönlichkeit gemacht hat.“